1. Ausgangslage
Als Bestandteil des ISEK wurde im Jahre 2015 eine Wohnflächenbedarfsanalyse erarbeitet. Diese Untersuchung sollte im Hinblick auf den Wohnraummangel eine Zielgröße von Wohneinheiten vorgeben, die bis zum Jahr 2030 umzusetzen sind, um den demografischen Entwicklungen gerecht zu werden und den Bedarf abzudecken. Im Ergebnis wurde von ein Bedarf von 1.800 Wohnungen bis 2030 ermittelt, was im Schnitt eine Fertigstellung von 118 Wohnungen pro Jahr ergab.
Im Zuge der überdurchschnittlich regen Bautätigkeit der letzten Jahre und im Hinblick auf anstehende Großprojekte wie die Bahnflächen in Reutin, soll die Wohnbedarfsanalyse nun aktualisiert werden. Im Hinblick auf die üblichen langen Entwicklungszeiträume städtebaulicher Projekte wurde für die jetzt vorliegende Aktualisierung ein Betrachtungszeitraum bis zum Jahr 2040 vorgegeben. Damit sind die aktuell bekannten Quartiersentwicklungen abgedeckt, also auch jene Projekte, die nicht Gegenstand des ISEK waren.
Der vollständige Bericht zur Wohnraumbedarfsberechnung ist als Anlage der Beschlussvorlage beigefügt. Die Beschlussvorlage soll einen Überblick über den komplexen Sachverhalt und die wesentlichen Aussagen der Wohnraumbedarfsberechnung geben. Die nachfolgenden Inhalte sind ihr entnommen und stark verkürzt wiedergegeben.
2. Grundlegendes zur Bevölkerungsentwicklung
2.1 Bevölkerungsentwicklung
Lindau hat mit Stand vom 31.12.2020 einen Einwohnerstand von 25.543 Bewohnern. Das stellt den höchsten Stand an Einwohnern seit Mitte der 1970er Jahre dar.
Lindau stellt dem Prognos Zukunftsatlas nach ein Landkreis mit hohen Chancen dar und belegt im Gesamtranking Platz 62 von 401 bundesdeutschen Landkreisen. Im Hinblick auf das Kriterium Innovationskraft belegt Lindau sogar Rang 27, was grundsätzlich auf ein ökonomisches Potenzial schließen lässt. Gefährdungen sind insbesondere in der Demografie und dem Arbeitskräftemarkt gegeben.
Die Altersstruktur in der Stadt Lindau weist einen starken Anteil der über 64-Jährigen an der Gesamtbevölkerung auf. Dieser liegt mit rund 25 % überdurchschnittlich hoch, d.h. der Anteil der über 64-Jährigen liegt deutlich über dem Durchschnitt des Landkreises, des Regierungsbezirks und des Freistaats. Gleichzeitig ist der Anteil der 30- bis unter 50-Jährigen im Vergleich zum Jahr 2000 stark gesunken, in absoluten Zahlen um rund 300 Personen.
Auf Grund der vorhandenen Altersstruktur ist das Geburtensaldo in Lindau negativ. Es werden weniger Kinder geboren, als Sterbefälle eintreten. Dennoch ist Lindau in den letzten 20 Jahren um 1.669 Einwohner gewachsen. Das heißt, dass das Bevölkerungswachstum von rund 7 % zwischen dem Jahr 2000 und 2020 allein durch Wanderungszugewinne entstanden ist. Die Wanderungsbilanz ist seit vielen Jahren positiv und gleicht das Geburtendefizit aus.
Seit dem Jahr 2010 liegen die Wanderungszugewinne im Vergleich zu den davorliegenden Jahren überdurchschnittlich hoch. Der Höchstwert wurde im Jahre 2015 erreicht, als über 2.400 Menschen nach Lindau zogen, was allein in diesem einen Jahr zu einem absoluten Bevölkerungszugewinn von 446 Einwohnern führte.
2.2 Arbeitsplatzentwicklung
Die Arbeitsplatzentwicklung in Lindau ist grundsätzlich positiv. Im Zeitraum von 2008 bis 2019 stieg die Zahl der Arbeitsplätze von 10.785 auf 13.086 an, was einem Zuwachs von 2.211 Arbeitsplätzen entspricht. Besonders im Bereich der Unternehmensdienstleistungen hat sich die Zahl der Arbeitsplätze von 1.561 auf 3.049 fast verdoppelt.
Gleichzeitig geht die Steigerung der Arbeitsplätze relativ parallel mit der Steigerung der Einpendlerzahlen einher. Dies kann als Indiz gewertet werden, dass im betreffenden Zeitraum nicht genug Wohnraum im Stadtgebiet zur Verfügung gestellt wurde. Es kann angenommen werden, dass bei passendem Wohnraumangebot ein Teil der Einpendler ihren Wohnort nach Lindau verlegen würden.
Vergleicht man die Beschäftigtenentwicklung von Stadt und Landkreis fällt eine höhere Arbeitsplatzdynamik auf Seiten des Landkreises auf. Grundsätzlich ist aber von einer höheren Arbeitsplatzdynamik in urbanen Räumen als im ländlich geprägten Raum auszugehen. Dass diese Entwicklung in Lindau genau gegenläufig ist, kann als Indikator für fehlende Gewerbeflächen im Stadtgebiet gedeutet werden. Die aktuell in Bearbeitung befindliche Gewerbeflächenuntersuchung wird hier detailliertere Aussagen treffen. Gleichzeitig kann auch die Verfügbarkeit von einem passenden Wohnraumangebot dazu führen, dass ansiedlungsfreudige Unternehmen Standorte im Landkreis bevorzugen.
3. Wohnungsbestand und -fertigstellungen
Der Wohnungsbestand in der Stadt Lindau steigt kontinuierlich. Seit 2013 sind 1.105 Wohnungen neu gebaut wurden. Waren im Jahr 1995 noch 11.807 Wohnungen vorhanden, stieg dieser Wert im Jahre 2013 auf 13.203 Wohnungen und auf 14.308 im Jahre 2020.
Seit dem Beschluss des ISEK im November 2015 wurden in den nachfolgenden Jahren 2016 bis 2020 insgesamt 732 Wohneinheiten fertiggestellt. Die im ISEK geforderten rund 1.800 Wohneinheiten bis 2030 wurden damit noch nicht erreicht, bleibt die Bautätigkeit ähnlich hoch wie heute, wird dieses Ziel aber erfüllt.
Besonders seit 2015 wurden viele Wohnungen fertiggestellt, von 2015 bis 2020 im Schnitt 158 Wohneinheiten. Im Vergleich dazu wurden seit 1988 bis 2020 im Schnitt nur rund 100 Wohneinheiten fertiggestellt. Die fertiggestellten Wohnungen wurden zwischen 2016 bis 2019 mit einem Anteil von 86 % bis 95 % im Geschosswohnungsbau errichtet.
Vergleicht man die Fertigstellungszahlen von familienfreundlichen Ein- und Zweifamilienhäusern in der Stadt und im Landkreis fällt auf, dass im Landkreis bei doppelter Einwohnerzahl fast viermal so viele Ein- und Zweifamilienhäuser gebaut wurden.
4. Prognosevarianten zur die Bevölkerungsentwicklung
4.1 Grundsätzliches
Zur Bedarfsermittlung werden verschiedene Varianten erarbeitet, um unterschiedliche Entwicklungen aufzeigen zu können. Neben einer Null- (V 0) und einer Variante mit anhaltend hoher Bautätigkeit (V 2) wird eine Realvariante (V 1) ermittelt, die ein möglichst realistisches Szenario abbildet.
4.2 Nullvariante V 0
Die Nullvariante bildet den unteren Rand des Prognosekorridors dar, es wird von einem moderaten Bevölkerungswachstum ausgegangen, Bevölkerungswachstum. Wanderungsbewegungen und Baufertigstellungen entsprechen dabei dem Schnitt der letzten 20 Jahre. Es ergibt sich eine Wachstumsrate von 0,3 % / Jahr. Bis zum Jahr 2040 ergibt sich so eine Zahl von 27.281 Einwohnern.
4.3 Variante Hohe Entwicklung V 2
Die Variante V 2 bezieht sich auf das hohe Wachstum der letzten 5 Jahre und nimmt an, dass diese Werte bis zum Jahr 2040 unverändert bleiben. Es ergibt sich eine Wachstumsrate von 0,7 % / Jahr. Das bedeutet eine Einwohnerzahl von 29.349 bis 2040.
4.4 Realvariante V 1
Die Realvariante V 1 versucht ein möglichst wirklichkeitsgetreues Szenario bis zum Jahr 2040 abzubilden. Ausgehend von der Annahme, dass die durchschnittliche Bautätigkeit der letzten 20 Jahre nicht ausgerecht hat, um den Wohnraumbedarf zu decken, wird hier von einem erhöhten bemühen ausgegangen, den Wohnbedarf in Lindau bis 2040 zu decken. Es wird ein jährliches Bevölkerungswachstum von 0,5 % zu Grunde gelegt, worauf bis 2040 mit 28.346 Einwohnern in Lindau zu rechnen ist. Damit liegt die Variante V 1 mit ihren Annahmen genau zwischen den Varianten V 0 und V 2.
Aus diesem Grund bezieht sich die Wohnbedarfsermittlung bis 2040 auf diese Variante.
5. Wohnraumbedarf bis 2040
5.1 Bestandteile für die Bedarfsermittlung
Basierend auf der Variante V 1 setzt sich die Bedarfsermittlung aus drei Bestandteilen zusammen:
Es ergibt sich ein Bevölkerungswachstum von 0,5 % / Jahr
Die Haushaltsgrößen von aktuell 1,8 sinkt moderat weiter auf 1,77. Dennoch steigt der Wohnraumbedarf durch sich verändernde Haushaltsstrukturen weiter.
- Bedarf an Wohneinheiten durch Wohnungsabgang (Abriss, Umwandlung, Zusammenlegung)
Hier wird eine jährliche Abgangsquote von 0,3 % (3 Wohnungen von 1000 jährlich) angenommen. Auch das LfU rechnet mit dieser Quote in ihrer Flächenmanagement-Datenbank.
5.2 Wohnungsbedarf bis 2040
Auf Grundlage von Variante V 1 und der unter 5.1 genannten Werte ergibt sich ein Bedarf von 2.610 Wohneinheiten bis zum Jahr 2040. Dies bedeutet eine jährliche Bautätigkeit von 130 Wohnungen / Jahr.
5.3 Wohnbedarf nach Wohntypen
Im Hinblick auf die demographische Entwicklung ist von einem steigenden Bedarf an kleinen und mittleren Wohnungen auszugehen. Die bereits genehmigten Baugenehmigungen reichen nicht aus, diesen Bedarf zu decken. Vor allem Senioren, Paare ohne Kinder und Single-Haushalte werden bezüglich der Nachfrage an Bedeutung gewinnen.
Gleichzeitig wird nach wie vor familienfreundlicher Wohnraum benötigt. Unter der Leitlinie der Innenentwicklung gilt es, Baulücken zu schließen und nachzuverdichten. In den Ein- und Zweifamilienhausgebieten ist ein Generationenwechsel zu vollziehen.
6. Handlungsempfehlungen
Neben der Schaffung des unter 5. genannten Wohnraumbedarfs und Wohnungsmixes sind flankierende Maßnahmen zu ergreifen, um die städtische Wohnraumpolitik weiter zu begleiten. Es wird empfohlen, eine detaillierte Begutachtung der Baulandreserven durchzuführen, bezogen auf Baulücken, unbebaute Flächen in Bebauungsplänen sowie Konversionsflächen. Zudem sollte ein Monitoring erfolgen, um den Wohnraumbedarf kontinuierlich fortzuschreiben. Das gleiche gilt für den Bestand an Ferienwohnungen wie auch an Leerständen.
Hinsichtlich einer quantitativen Aufteilung der oben genannten 130 Baufertigstellungen an Wohnungen pro Jahr bis 2040 können wie folgt Empfehlungen ausgesprochen werden:
- Die Altersjahrgänge der 20-30 Jährigen bilden mit jeweils ca. 250- 300 Personen pro Jahrgang ein Potenzial hinsichtlich Auflockerungsbedarf für Mietwohnraum kleinerer Wohnungen.
- Das Gleiche gilt für die stark besetzten Jahrgänge der 75 jährigen und älteren. Seniorengerechte Wohnungen kleinerer und mittlerer Größe werden hier benötigt. Dabei gilt es zu beobachten in welcher Dimension dadurch Häuser und familiengerechte Wohnungen frei werden und durch Familien besetzt werden können.
- Familiengerechter Wohnraum in Form von größeren Wohnungen und Ein- und Zweifamilienhäuser zielt vor allem auf stadtinterne Familiengründungen und zuziehende Familien. Die Analyse hat gezeigt, dass mit diesem Angebot vor allem Bevölkerungszuwachs generiert werden kann.
- Würde man die errechneten 130 WE pro Jahr nach den Quoten der vergangenen 10 Jahre verteilen, ergäben sich ca. 30 Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern, 25 kleine Wohnungen, 36 mittlere Wohnungen und 39 größere Wohnungen.
- Durch Abweichen von den genannten Zielwerten kann entsprechend der zu formulierenden politischen Zielsetzungen der Stadt Lindau die zukünftige Siedlungs- und Bevölkerungsentwicklung gesteuert werden.
Die Betrachtung der Baufertigstellungen der letzten 10 Jahre zeigt einen deutlichen räumlichen Schwerpunkt im Bereich Aeschach sowie in Reutin. Für die künftige Schaffung von Wohnraum wird empfohlen, Entwicklungspotenziale im gesamten Stadtgebiet zu suchen und eine zu starke Schwerpunktbildung wie bisher zu vermeiden. Besonders der Bereich der Hinteren Insel bietet sich für die Schaffung von gut eingebundenem, lebendigem Wohnraum an. Zu prüfen ist auch die Entstehung von Wohnraum in modularer Bauweise, bei der Wohnungsgrößen nach Bedarf verändert werden können. Möglich sind also sowohl reversible Strukturen, die mehr Privatsphäre und Trennung schaffen, als auch die Erweiterung mit offenen Raumstrukturen und gemeinschaftlicher Nutzung.