Daten angezeigt aus Sitzung:
5. Sitzung des Bau- und Umweltausschusses, 11.01.2024
Beratungsreihenfolge
Sachverhalt
Im Gebäude in der Kemptener Straße 99 („Tanner-Denkfabrik“) soll zusätzlich zu den bisher vorhandenen Nutzungen ein Boardinghouse entstehen. Bisher sind Dienstleistungsbetriebe (verschiedene Firmen), eine Praxis, ein Kindergarten, Coworking-Spaces sowie Tagungs- und Konferenzräume in dem Gebäude vorhanden. Für das Boardinghouse sollen bisher zu Bürozwecken genutzte Räume zu einem Beherbergungsbetrieb umgenutzt werden, der wiederum die verbleibenden Büroflächen funktional ergänzen soll. Es sollen Beherbergungsräume für die in den Coworking-Spaces Arbeitenden und Tagungs- und Konferenzteilnehmer entstehen.
Für das Vorhaben sind neben einer Nutzungsänderung auch bauliche Änderungen notwendig. Es werden z.T. Wände eingezogen oder herausgenommen. Das Boardinghouse soll im westlichen Bereich des Gebäudes, Richtung Golfplatz, im Sockelgeschoss (UG) und Erdgeschoss umgesetzt werden. Im Sockelgeschoss grenzt es an den Kindergarten an.
Betriebskonzept:
- Das Boardinghouse soll 72 Gästezimmer mit einer Größe von 11 m² bis 58 m² umfassen. Die durchschnittliche Größe liegt bei 28 m². Die Zimmer verfügen über einen Schlafraum und ein Bad sowie über folgende Ausstattungselemente: Bett, Schrank und Schreibtisch sowie teilweise – in Abhängigkeit von der Größe der Zimmer – zusätzlich über eine Schrank-Teeküche mit einer Minimalausrüstung an Geschirr und Besteck.
- Infrastrukturflächen und -räume: Fitness- und Yogabereich, Empfang mit Infotheke und Rezeption, Restaurant mit mittäglichem und/oder abendlichem Essensangebot und ergänzenden Snack- und Getränkeautomaten, Frühstücksraum, Bar/Lounge.
- Leistungen: Beherbergung der Nutzer in den Gästezimmern mit Reinigungs- und Wäscheservice. Vollausgestattete Zimmer. Ein Recht eigene Möbel oder Einrichtungsgegenstände einzubringen, besteht nicht. Eigenständiges Reinigen der Räume und eigenständiges Waschen der Wäsche durch die Nutzer wird nicht ermöglicht (keine Waschmaschinen für Nutzer vorhanden).
- Jedoch werden Conciergeleistungen angeboten. Bereitstellung von Serviceleistungen auf den Infrastrukturflächen: Benutzung des Fitness- und des Yogabereichs sowie des Restaurants, des Frühstücksraums und der Bar/Lounge.
- Ziel- Nutzergruppe: reisende Profis, Projektmanager, Fachkräfte, Expats, Geschäftsreisende, Monteure, Teilnehmer von Konferenzen, Touristen einschließlich Golfspielern und digitale Nomaden.
- Buchungs- bzw. Nutzungsdauer: nur zeitlich befristete Beherbergungsverträge für einen Zeitraum von 1 Tag bis ca. 2 maximal aber bis zu 4 Monaten.
- Die Bewirtschaftung soll hoch automatisiert laufen von der Buchung bis zum Checkout. Die Buchung erfolgt entsprechend über ein computergestütztes Tool mit self-check in/out. Für Hilfeleistungen und zur Buchung von weiteren Servicepaketen und als Infotheke steht die Rezeption zur Verfügung.
Fachliche Bewertung
Änderung des Bebauungsplans im Vorfeld:
Abgesehen von einer genehmigten Bauvoranfrage im Untergeschoss gab es im letzten Jahr eine Anfrage des Eigentümers bezüglich der Umnutzung eines Teils der Tanner-Denkfabrik. Die angefragte Nutzung war aber nicht genehmigungsfähig, da sie den Festsetzungen des Bebauungsplans widersprach. Eigentümer und Stadt vereinbarten, hinsichtlich der Weiterentwicklung der Tanner-Denkfabrik weiter im Gespräch zu bleiben. Es zeigte sich, dass die nachhaltige Bewirtschaftung dieser Gewerbeimmobilie aus verschiedenen Gründen aktuell herausfordernd ist. Daher wurde seitens des Bauamtes auch keine Änderung der Art der baulichen Nutzung unternommen, da man zunächst ein mögliches neues Konzept abwarten wollte, um dann den Bebauungsplan gegebenenfalls anzupassen. Ohne ein konkretes Zielkonzept ist eine Änderung des Bebauungsplans in diesem Fall nicht sinnvoll, da dadurch auch sinnvolle Umnutzungen oder Weiterentwicklungen ausgeschlossen werden könnten. Stattdessen wurden die Bebauungspläne in den Gewerbegebieten entlang der Robert-Bosch-Straße und Bregenzer Straße geändert und Beherbergungsbetriebe für unzulässig erklärt. Zudem wurden in zahlreichen weiteren Bebauungsplänen Ferienwohnungen, jüngst auch Zweitwohnungen ausgeschlossen.
In der Bauvoranfrage wurde die Frage gestellt, ob das Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässig ist.
Stellungnahme der Industrie- und Handelskammer Schwaben (IHK)
Die IHK hat zum Antrag mit Geschäftsführungen bzw. Personalchefs maßgeblicher Industriebetrieben in Lindau gesprochen und den Bedarf an einem Boardinghouse aus Sicht des jeweiligen Unternehmens erörtert; ebenso mit einigen Inhabern von Hotels. Überwiegend würde eine Errichtung eines im Stadtbusnetz angesiedelten Boardinghouse sehr begrüßt. Der Bedarf wird als hoch eingeschätzt.
Der Bedarf wird vor allem wegen dem Arbeits- und Fachkräftemangel gesehen. Noch gravierender wird dies bei den Industrieunternehmen artikuliert. Hochqualifizierte Fachkräfte werden national und international angeworben. Großes Problem ist die jedoch Nichtverfügbarkeit von Wohnraum. Gerade während der in der Regel 6-monatigen Probezeit könnten Arbeitnehmer im Boardinghouse untergebracht werden, bevor die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und ggfs. Nachzug von Familienangehörigen zum Umzug in den freien Wohnungsmarkt animiert.
Auch wird von Industrieunternehmen angemerkt, dass immer wieder über mittelfristige Zeiträume Schulungsteilnehmer, Praktikanten, Techniker, etc. untergebracht werden müssen. Hierfür würde sich die Unterbringung im Boardinghouse anbieten.
Stellungnahme der Lindau Tourismus und Kongress GmbH (LTK)
Es besteht in Lindau eine Nachfrage nach Boarding-House-Angeboten, insbesondere auch für Saison-Servicekräfte der Hotel- und Gaststättenbetriebe. Die dargestellten Boardinghouse–Zimmer stellen daher keine unerwünschte Entwicklung für den Hotelstandort Lindau dar, sondern können dazu dienen, den Standort Lindau strukturell zu stärken.
Bauplanungsrecht
Das Vorhaben befindet sich innerhalb des qualifizierten Bebauungsplanes Nr. 107 „Gewerbegebiet westlich der Kemptener Straße“, rechtsverbindlich seit 06.02.1999. Für den Bereich ist ein eingeschränktes Gewerbegebiet (GEe) festgesetzt. Ein Gewebegebiet dient grundsätzlich der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben, einschließlich Beherbergungsbetrieben. Das hier vorliegende Gewerbegebiet ist dahingehend eingeschränkt, dass Lagerhäuser und Lagerplätze, Tankstellen und Anlagen für sportliche Zwecke sowie Vergnügungsstätten nicht zulässig sind.
Bei einem Boardinghouse handelt es sich um eine bauplanungsrechtlich nicht geregelte Übergangsform zwischen Wohnnutzung und Beherbergungsbetrieb (vgl. BayVGH, Urt. v. 22.01.2020, Az.: 15 ZB 18.2547).
Es handelt sich immer um eine Einzelfallentscheidung, wie genau ein Boardinghouse ausgestaltet ist. Das hier geplante Boardinghouse stellt eher einen Beherbergungsbetrieb dar, da z.B. kein eigenständiges Waschen der Wäsche, keine eigenen Möbel etc. möglich ist. Eine allgemeine Wohnnutzung ist hier nicht ersichtlich. Aus diesem Grund ist der Beherbergungsbetrieb in dem eingeschränkten Gewerbegebiet gem. § 30 Abs. 1 BauGB genehmigungsfähig.
Bei Abwendung der Bauvoranfrage
Sollte ein Boardinghouse als Beherbergungsgewerbe politisch an diesem Standort nicht erwünscht sein und an einem anderen Standort stadtplanerisch besser angesiedelt werden, so wäre die Änderung des Bebauungsplanes zum Ausschluss von Beherbergungsbetrieben und der Erlass einer Veränderungssperre erforderlich. Ein solches Bauleitplanverfahren würde eine mehrmonatige Verfahrensdauer verursachen, welche mit einem nicht unerheblichen Verwaltung- und Kostenaufwand verbunden ist.
Diskussionsverlauf
Im Gremium besteht die Angst, dass dieses Boardinghouse im Grunde eher als ein verkapptes Hotel genutzt wird.
Der Bedarf für ein Boardinghouse ist definitiv da, aber leider lässt sich nicht gut kontrollieren, wer tatsächlich eincheckt (Touristen/Golfer etc. oder wirklich Saisonarbeiter).
Oberbürgermeisterin Frau Dr. A l f o n s erklärt, dass in dem Fall ein Vertrauensvorschuss an den Investor gegeben werden müsste.
Das Gremium verbleibt so, dass Herr Koschka und die IHK noch einmal mit dem Investor sprechen, ob es Möglichkeiten gibt diesen Beherbergungsbetrieb so aufzustellen, dass dieser nicht als Hotel für Kurzurlauber genutzt wird.
Beschluss
Der Bau- und Umweltausschuss stimmt der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Bauvoranfrage gemäß § 30 Abs. 1 BauGB zu.
Abstimmungsergebnis
Dafür: 2, Dagegen: 10
Dokumente
Denkfabrik Boardinghouse_Lageplan (.pdf)
Datenstand vom 23.12.2024 09:35 Uhr