BV/129/2023: Nutzungsänderung von Büroräumen zu einem Boardinghouse mit 72 Gästezimmern, Kemptener Straße 99


Daten angezeigt aus Sitzung:  4. Sitzung des Bau- und Umweltausschusses, 01.10.2024

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.
Bau- und Umweltausschuss (Stadt Lindau) 4. Sitzung des Bau- und Umweltausschusses 01.10.2024 ö beschließend 7

Sachverhalt

Im Gebäude in der Kemptener Straße 99 („Tanner-Denkfabrik“) soll zusätzlich zu den bisher vorhandenen Nutzungen ein Boardinghouse entstehen. Bisher sind Dienstleistungsbetriebe (verschiedene Firmen), eine Praxis, ein Kindergarten, Coworking-Spaces sowie Tagungs- und Konferenzräume in dem Gebäude vorhanden. Für das Boardinghouse sollen bisher zu Bürozwecken genutzte Räume zu einem Beherbergungsbetrieb umgenutzt werden, der wiederum die verbleibenden Büroflächen funktional ergänzen soll. Es sollen Beherbergungsräume für die in den Coworking-Spaces Arbeitenden und Tagungs- und Konferenzteilnehmer entstehen. 

Für das Vorhaben sind neben einer Nutzungsänderung auch bauliche Änderungen notwendig. Es werden z.T. Wände eingezogen oder herausgenommen. Das Boardinghouse soll im westlichen Bereich des Gebäudes, Richtung Golfplatz, im Sockelgeschoss (UG) und Erdgeschoss umgesetzt werden. Im Sockelgeschoss grenzt es an den Kindergarten an. 

Betriebskonzept: 
  • Das Boardinghouse soll 72 Gästezimmer mit einer Größe von 11 m² bis 58 m² umfassen. Die durchschnittliche Größe liegt bei 28 m². Die Zimmer verfügen über einen Schlafraum und ein Bad sowie über folgende Ausstattungselemente: Bett, Schrank und Schreibtisch sowie teilweise – in Abhängigkeit von der Größe der Zimmer – zusätzlich über eine Schrank-Teeküche mit einer Minimalausrüstung an Geschirr und Besteck. 

  • Infrastrukturflächen und -räume: Fitness- und Yogabereich, Empfang mit Infotheke und Rezeption, Restaurant mit mittäglichem und/oder abendlichem Essensangebot und ergänzenden Snack- und Getränkeautomaten, Frühstücksraum, Bar/Lounge.

  • Leistungen: Beherbergung der Nutzer in den Gästezimmern mit Reinigungs- und Wäscheservice. Vollausgestattete Zimmer. Ein Recht eigene Möbel oder Einrichtungsgegenstände einzubringen, besteht nicht. Eigenständiges Reinigen der Räume und eigenständiges Waschen der Wäsche durch die Nutzer wird nicht ermöglicht (keine Waschmaschinen für Nutzer vorhanden).

  • Jedoch werden Conciergeleistungen angeboten. Bereitstellung von Serviceleistungen auf den Infrastrukturflächen: Benutzung des Fitness- und des Yogabereichs sowie des Restaurants, des Frühstücksraums und der Bar/Lounge. 

  • Ziel- Nutzergruppe: reisende Profis, Projektmanager, Fachkräfte, Expats, Geschäftsreisende, Monteure, Teilnehmer von Konferenzen, Touristen einschließlich Golfspielern und digitale Nomaden.

  • Buchungs- bzw. Nutzungsdauer: nur zeitlich befristete Beherbergungsverträge für einen Zeitraum von 1 Tag bis ca. 2 maximal aber bis zu 4 Monaten. 

Die Bewirtschaftung soll hoch automatisiert laufen von der Buchung bis zum Checkout. Die Buchung erfolgt entsprechend über ein computergestütztes Tool mit self-check in/out. Für Hilfeleistungen und zur Buchung von weiteren Servicepaketen und als Infotheke steht die Rezeption zur Verfügung.

Der Antrag auf Vorbescheid wurde bereits in der Sitzung des Bau- und Umweltausschusses am 11.01.2024 behandelt. Dem damaligen Betriebskonzept konnte nicht zugestimmt werden.
Zwischenzeitlich fand ein Ortstermin mit dem Antragsteller und den Mitgliedern des Bau- und Umweltausschusses statt, wobei vereinbart wurde, dass das o.g. Betriebskonzept konkretisiert wird. Die erfolgte nun mit E-Mail vom 05.09.2024:
Es wird angestrebt eine teilweise Umnutzung der Flächen in dem Anwesen Kemptener Straße 97 - 103, der sogenannten Denkfabrik, weil dem dort vorhandenen Angebot an Büroflächen keine entsprechende Nachfrage mehr gegenüber steht. Ein Teil dieser Flächen soll deshalb einer neuen Nutzung zugeführt werden. Geplant ist, derzeit leer stehende Büroflächen im Rahmen eines Boardinghouses künftig zur temporären Beherbergung insbesondere von solchen Personen zu nutzen, die nur zeitweise bzw. vorübergehend in Lindau tätig sind. Sie sollen in der Denkfabrik während der Dauer ihrer Beschäftigung einerseits eine Bleibe in Lindau finden. Andererseits sollen sie in der Denkfabrik selbst auch arbeiten können. Hierzu sollen dort neben dem Boardinghouse auch Co-Working-Spaces zur Verfügung gestellt werden mit einer entsprechenden Infrastruktur für digitale Beschäftigung. Insofern richtet sich das Angebot vornehmlich an Personen, die selbständig und ortsungebunden arbeiten sowie an solche, die über einen beschränkten Zeitraum in Lindauer Betrieben, so zum Beispiel bei den Firmen Continental oder Liebherr, tätig sind. Beide Personengruppen finden in Lindau auf dem regulären Wohnungsmarkt kein adäquates Angebot. Zum einen sind dort schlicht keine Wohnungen in hinreichender Zahl vorhanden. Zum anderen lohnt es sich für diese Personengruppe in der Regel nicht, Wohnraummietverhältnisse einzugehen, deren Kündigungsfristen die Aufenthaltsdauer häufig überschreiten. Mit Blick auf diese Zielgruppe ist das Boardinghouse konzipiert worden. So wird dort eine Infrastruktur vorgehalten, die es dem Bewohner ermöglicht auf umfangreiche Serviceleistungen zurückzugreifen. Dies beginnt mit der Bereitstellung von Hausrat, wie Besteck und Wäsche, in den Zimmern, erstreckt sich über Sportangebote in einem Fitnessraum und endet in diversen Essensangeboten, wie der Darbietung eines „Managerfrühstücks“. Auf der anderen Seite sollen die Bewohner ihr Essen auf den Zimmern auch eigenständig und unabhängig von dem Gastronomieservice des Boardinghouses zubereiten können. Die Preisgestaltung soll Langzeitaufenthalte von bis zu 4 Monaten attraktiv machen. Es wird davon ausgegangen, mit einem solchen Angebot, einen Markt bedienen zu können, den es Lindau bisher nicht gibt. Insbesondere Hotels sind für die hier angesprochene Personengruppe keine Alternative. Sie sind auf Kurzzeitaufenthalte ausgelegt, haben eine entsprechende Preisgestaltung und halten keine Infrastruktur vor, die es dem Bewohner ermöglicht, temporär auch eigenständig zu leben und zu arbeiten. Insofern besteht in Lindau ein auch von der IHK bestätigtes Versorgungsdefizit an Unterbringungsmöglichkeiten, die zwar nicht dauerhaft im Sinne einer Wohnung, so aber doch langfristig über einige wenige Monate genutzt werden können. Dieses Defizit wird mit diesem Konzept aufgegriffen.

Fachliche Bewertung

In der Bauvoranfrage wurde die Frage gestellt, ob das Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässig ist.

Stellungnahme der Industrie- und Handelskammer Schwaben (IHK)
Die IHK hat zum Antrag mit Geschäftsführungen bzw. Personalchefs maßgeblicher Industriebetrieben in Lindau gesprochen und den Bedarf an einem Boardinghouse aus Sicht des jeweiligen Unternehmens erörtert; ebenso mit einigen Inhabern von Hotels. Überwiegend würde eine Errichtung eines im Stadtbusnetz angesiedelten Boardinghouse sehr begrüßt. Der Bedarf wird als hoch eingeschätzt.

Der Bedarf wird vor allem wegen dem Arbeits- und Fachkräftemangel gesehen. Noch gravierender wird dies bei den Industrieunternehmen artikuliert. Hochqualifizierte Fachkräfte werden national und international angeworben. Großes Problem ist die jedoch Nichtverfügbarkeit von Wohnraum. Gerade während der in der Regel 6-monatigen Probezeit könnten Arbeitnehmer im Boardinghouse untergebracht werden, bevor die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und ggfs. Nachzug von Familienangehörigen zum Umzug in den freien Wohnungsmarkt animiert.

Auch wird von Industrieunternehmen angemerkt, dass immer wieder über mittelfristige Zeiträume Schulungsteilnehmer, Praktikanten, Techniker, etc. untergebracht werden müssen. Hierfür würde sich die Unterbringung im Boardinghouse anbieten.

Stellungnahme der Lindau Tourismus und Kongress GmbH (LTK)
Es besteht in Lindau eine Nachfrage nach Boarding-House-Angeboten, insbesondere auch für Saison-Servicekräfte der Hotel- und Gaststättenbetriebe. Die dargestellten Boardinghouse–Zimmer stellen daher keine unerwünschte Entwicklung für den Hotelstandort Lindau dar, sondern können dazu dienen, den Standort Lindau strukturell zu stärken. 

Bauplanungsrecht
Das Vorhaben befindet sich innerhalb des qualifizierten Bebauungsplanes Nr. 107 „Gewerbegebiet westlich der Kemptener Straße“, rechtsverbindlich seit 06.02.1999. Für den Bereich ist ein eingeschränktes Gewerbegebiet (GEe) festgesetzt. Ein Gewebegebiet dient grundsätzlich der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben, einschließlich Beherbergungsbetrieben. Das hier vorliegende Gewerbegebiet ist dahingehend eingeschränkt, dass Lagerhäuser und Lagerplätze, Tankstellen und Anlagen für sportliche Zwecke sowie Vergnügungsstätten nicht zulässig sind. 

Bei einem Boardinghouse handelt es sich um eine bauplanungsrechtlich nicht geregelte Übergangsform zwischen Wohnnutzung und Beherbergungsbetrieb (vgl. BayVGH, Urt. v. 22.01.2020, Az.: 15 ZB 18.2547). 
Es handelt sich immer um eine Einzelfallentscheidung, wie genau ein Boardinghouse ausgestaltet ist. Das hier geplante Boardinghouse stellt eher einen Beherbergungsbetrieb dar, da z.B. kein eigenständiges Waschen der Wäsche, keine eigenen Möbel etc. möglich ist. Eine allgemeine Wohnnutzung ist hier nicht ersichtlich. Aus diesem Grund ist der Beherbergungsbetrieb in dem eingeschränkten Gewerbegebiet gem. § 30 Abs. 1 BauGB genehmigungsfähig. 
Durch die Betriebsbeschreibung bzw. die Ergänzungen ist die Nutzung als Boardinghaus festgeschrieben und eine reine touristische Hotelnutzung ausgeschlossen. Die Befürchtungen eines Konkurrenzangebotes zu bestehenden Hotelstandorten im übrigen Stadtgebiet konnten ausgeräumt werden. 
Zusätzlich empfiehlt die Verwaltung, den Wirtschaftsförderer mit in den Prozess der Absprache zwischen Antragsteller und den Gewerbetreibenden, welche Bedarf an Boardingzimmern haben, einzubinden. 

Finanzielle Auswirkungen


einmalig
laufend
Finanzielle Auswirkungen:
     
     
Mittel stehen (nicht) zur Verfügung
Haushaltsstelle/
Deckungsvorschlag
   





Diskussionsverlauf

OB Dr. Alfons erklärt, dass ein Antrag der CSU eingegangen ist.

Herr Kaserer liest den Antrag vor.

Herr Koschka erklärt, dass der Vorbescheid mit dem neuen Nutzungskonzept genehmigt werden muss.

Stadträtin Dr. Lorenz-Meyer merkt an, dass das Konzept letztes Mal abgelehnt wurde und fragt, wieso es nicht beim Gewerbe bleibt. Sie möchte wissen, was der Unterschied zum alten Konzept ist und wie die touristische Nutzung ausgeschlossen werden soll.

Herr Kaserer antwortet, dass die Nutzung als Hotel durch den Name Boardinghaus ausgeschlossen ist. Die Voranfrage entspricht dem Bebauungsplan und muss deshalb genehmigt werden. Die Nutzung als Gewerbe stellt sich als schwierig dar. Es handelt sich um eine Bauvoranfrage, im Baugenehmigungsverfahren ist dann genaueres geregelt. Es besteht ein Anspruch auf einen Bescheid, sonst ist eine Klage möglich. Das genaue Konzept ist im Vorbescheid noch nicht geregelt.

Stadtrat Büchele bringt ein, dass hier Absprache wichtig ist.

Herr Koschka merkt an, dass Auflagen sonst nur über eine Veränderungssperre und eine Veränderung des Bebauungsplans möglich sind.

Stadträtin Dormüller bringt ein, dass Auflagen ein guter Weg sind.

Stadträtin Brombeis merkt an, dass das Konzept damals abgelehnt wurde und erkundigt sich, wer die Auflagen überprüft. Sie befürchtet ein Hotelgewerbe durch die Hintertür.

Herr Kaserer erklärt, dass die Auflagen aus dem Vorbescheid erst im Bauantrag geprüft werden. Sonst ist nur eine Bebauungsplanänderung möglich. Das Boardinghaus stellt eine Mischung aus Wohnen und Beherbergungsbetrieb dar.

Stadträtin Brombeis schlägt vor den Wirtschaftsförderer Herrn Ringeisen miteinzubeziehen.

OB Dr. Alfons führt aus, dass dies der Vorschlag der Stadt war, um die Nutzung als Boardinghaus sicherzustellen. Sie erklärt, dass der Vorbescheid genehmigungsfähig ist und somit eine Genehmigungspflicht besteht. Der Antrag liegt seit einem Jahr vor und durch eine Bebauungsplanänderung könnte ein Rechtsrisiko entstehen.

Stadtrat Prof. Dr. Schöffel ist der Meinung, dass sich das Gebäude nicht als Hotel eignet. Nur als Boardinghaus kann das Gebäude erhalten bleiben.

Stadtrat Obermayr ist der Meinung, dass nicht viele Gewerbeflächen zur Verfügung stehen und das Gebäude so erhalten bleiben soll. Er möchte dem nicht zustimmen.

Stadtrat Fehrer stellt die Frage, ob jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Vorbescheid ist. Der Betreiber ist sich selbst unsicher über das Konzept. Bevor der Bescheid erteilt wird sollte das Gespräch gesucht und der Standort angeschaut werden.

OB Dr. Alfons erwidert, dass nach dem letzten Bau- und Umweltausschuss ein Gespräch mit dem Eigentümer und dem Verwalter vor Ort stattgefunden hat. Sie hat nicht den Eindruck, dass die Gefahr eines Hotels besteht. Aus den Gesprächen wurde klar, dass es schwierig ist die Räumlichkeiten zu nutzen und keine Absicht besteht ein Hotel zu betreiben. Der Betreiber ist froh über die Einbindung von IHK und Wirtschaftsförderer. 

Stadtrat Brombeiß erklärt, dass Bedarf da ist und das Konzept positiv gesehen werden soll. Mit den Auflagen sollte zugestimmt werden.

Stadtrat Nüberlin stimmt dem zu. Er möchte nicht, dass Gewerbe das Gebäude verlassen müssen, da Wohnraum geschafft wird.

Stadträtin Dr. Lorenz-Meyer erkundigt sich über mögliche Störungen der Übernachtenden durch die Gewerbebetriebe.

Herr Kaserer antwortet, dass die Gewerbebetriebe geschlossen sind, wenn die Übernachtenden schlafen und somit keine Störungen zu erwarten sind.

Stadtrat Obermayr fragt nach, wie die Auflagen eingehalten werden und wer diese überprüft.

Herr Kaserer erklärt, dass erst beim Bauantrag konkretes besprochen wird.

Stadtrat Obermayr erkundigt sich, wie die Auflagen sanktioniert werden können.

Herr Kaserer erklärt, dass dies mit Zwangsgeldern möglich ist und die Nutzung versagt werden kann. Es kann auch verlangt werden, dass die Belegungen nachgewiesen werden müssen.

OB Dr. Alfons lässt über den Beschlussvorschlag mit den Auflagen der CSU abstimmen.

Beschluss

Der Bau- und Umweltausschuss stimmt der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Bauvoranfrage gemäß § 30 Abs. 1 BauGB und der Einbindung des Wirtschaftsförderers zu.

Abstimmungsergebnis
Dafür: 9, Dagegen: 3

Datenstand vom 12.11.2024 15:43 Uhr