Rückübertragung abfallwirtschaftlicher Aufgaben an den Landkreis Neu-Ulm


Daten angezeigt aus Sitzung:  Sitzung des Gemeinderates, 26.04.2022

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.
Gemeinderat (Gemeinde Nersingen) Sitzung des Gemeinderates 26.04.2022 ö beschließend 2

Sachverhalt

Der Landkreis Neu-Ulm hat auf Wunsch der Kommunen mit einer Rechtsverordnung des Landkreises nach Art. 5 Abs. 1 Bayerisches Abfallwirtschaftsgesetz („Übertragungsverordnung“) verschiedene abfallwirtschaftliche Aufgaben, für die aufgrund Art. 3 Abs. 1 Bayerisches Abfallwirtschaftsgesetz i.V.m § 20 Kreislaufwirtschaftsgesetz originär der Landkreis Neu-Ulm zuständig wäre, auf die Kommunen im Landkreis übertragen. Die Übertragungsverordnung wurde zuletzt im Jahr 2016 geändert und regelt im Ergebnis, dass die Kommunen für die Einsammlung von Rest-, Sperr- und Bioabfällen, für den Betrieb der gemeindlichen Wertstoffhöfe sowie für die Verwertung erfasster Bioabfälle und Wertstoffe zuständig sind. Sie erheben hierfür Gebühren gegenüber den Anschlussnehmern auf ihrem Gebiet. Der Landkreis Neu-Ulm bleibt somit u.a. für die Beseitigung erfasster Rest-, Sperr- und Gewerbeabfälle, die die Kommunen am Müllheizkraftwerk des Landkreises anzudienen haben und für die Erfassung und Entsorgung schadstoffhaltiger Abfälle sowie für die Aufgaben nach § 21 Kreislaufwirtschaftsgesetz zuständig. Daneben betreibt der Landkreis einen eigenen Wertstoffhof („Entsorgungs- und Wertstoffhofzentrum“), der allen Anschlussnehmern im Landkreis Neu-Ulm zur Verfügung steht.

Aufgrund der immer komplexer werdenden rechtlichen Anforderungen auf der einen Seite sowie dem zunehmend schwierigen Marktumfeld bei der Vergabe von abfallwirtschaftlichen Leistungen sehen sich die Kommunen – insbesondere die kleineren Gemeinden – zunehmend überfordert, die ihnen übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß und wirtschaftlich zu erbringen. Der Bayerische Gemeindetag – Kreisverband Neu-Ulm – hat daher im Jahr 2019 den Antrag gestellt, die Möglichkeit der Rückübertragung abfallwirtschaftlicher Aufgaben von den Gemeinden an den Landkreis überprüfen und hierzu das entsprechende Interesse der kreisangehörigen Gemeinden abfragen zu lassen. Zudem hat der Bayerische Kommunale Prüfungsverband im Rahmen seiner Pflichtprüfungen der Kommunen ein umsatzsteuerliches Risiko erkannt, wonach die Leistungsbeziehung zwischen den Städten / Gemeinden und Abfallwirtschaftsbetrieb des Landkreises Neu-Ulm im Zuge der Umsetzung des § 2b UStG künftig der Umsatzsteuer zu unterwerfen sein. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung hat der Werkausschuss des AWB in seiner Sitzung am 02.07.2020 beschlossen eine Erhebung bei den Kommunen im Landkreis Neu-Ulm vorzunehmen, ob diese an einer Rückdelegation der ihnen übertragenen Aufgaben interessiert sind. Insgesamt 14 Städte und Gemeinden stehen einer Rückdelegation offen gegenüber.  Die Städte Neu-Ulm und Vöhringen sowie die Gemeinde Bellenberg nehmen derzeit an dem Projekt nicht teil.

Der AWB wurde daraufhin vom Werkausschuss beauftragt eine entsprechende Konzeption und Wirtschaftlichkeitsanalyse für eine Rückdelegation dieser 14 Kommunen zu erarbeiten. Im Rahmen des Projekts ist ein einheitliches abfallwirtschaftliches Konzept (Rekommunalisierungskonzept) für eine Aufgabenwahrnehmung durch den Landkreis Neu-Ulm zu entwickeln. Das kreiseinheitliche Konzept umfasst im Kern die Holsysteme für Restabfall, Bioabfall, Sperrmüll und die Bringsysteme für Wertstoffe und Grünabfälle, die jeweils allen Bürgern offenstehen sowie ein Gebührensystem, das bedarfsgerecht ausgerichtet ist.

Für die inhaltliche Bearbeitung des Projekts hat der AWB die ECONUM Unternehmensberatung GmbH aus Ludwigsburg beauftragt. Die Projektorganisation sah zudem eine Arbeitsgruppe vor, in der abfallwirtschaftlich verantwortliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der jeweiligen Verwaltung der teilnehmenden Kommunen vertreten sind, sowie einen Lenkungskreis der aus je einem Vertreter der Kreistagsfraktion besetzt ist. Während die Arbeitsgruppe die Aufgabe hatte in mehreren Workshops die inhaltliche Projektbearbeitung voranzutreiben und dabei insbesondere die Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten abzusichern, kam dem Lenkungskreis die Rolle der Projektsteuerung zu.
Bei der Entwicklung des Rekommunalisierungskonzepts sind für das Einsammel- und Gebührensystem vier Alternativen untersucht worden, die sich bei der Restabfallsammlung in der Ausgestaltung als Regelabfuhrsystem oder als Bedarfsabfuhrsystem und bei der Bioabfallsammlung in der Ausgestaltung mit haushaltsnaher Biotonne oder als Kombinationssystem mit einem Bringsystem als Regelsystem unterscheiden.
Die Projektarbeitsgruppe empfiehlt die Einführung eines entleerungsabhängigen Sammel- und Gebührensystems und damit der Bedarfsabfuhr bei der Restmüllabfallerfassung, da derartige Systeme einen stärkeren Anreiz zur Vermeidung und Trennung von Abfällen setzen. Dabei wird bei den Jahresgebühren eine Abkehr von rein volumenabhängigen Behältertarif und stattdessen die Erhebung einer personenabhängigen Grundstücksgebühr empfohlen. Damit steht die Gebührenstruktur besser im Einklang mit der Kostenstruktur und dem Risiko, dass alleine wegen eines Rückgangs der Bezugsgröße (Restabfallbehältervolumen) infolge des abfallwirtschaftlich gewünschten Nutzerverhaltens eine Erhöhung der Behältergebühr erforderlich wird, wird entgegnet. 

Ebenso empfiehlt die Projektarbeitsgruppe die Einführung einer kreisweiten haushaltsnahen Biotonne mit der Möglichkeit sich als Eigenkompostierer von der Biotonne befreien zu lassen. In diesem System mit Bioabfalltonne als Regelsystem besteht die Möglichkeit, den Kostendeckungsgrad der Gebühren für diese Bioabfalltonnen regelmäßig als Ermessensentscheidung im Rahmen des Beschlusses über die Abfallgebühren festzulegen, aus abfallwirtschaftlichen Gründen wird allerdings eine teilkostendeckende Gebühr empfohlen. Das System steht auch im Einklang mit den abfallrechtlichen Vorgaben, während das jetzige Bringsystem Bioabfälle zum Wertstoffhof Nersingen in naher Zukunft weder den abfallrechtlichen Überlassungspflichten noch den Getrennterfassungspflichten genügt.

Neben den beschriebenen Sammelsystemen für Rest- und Bioabfall sieht das Rekommunalisierungskonzept für alle betrachteten Alternativen die Etablierung eines haushaltsnahen Holsystems für die vier Sperrmüll-Teilfraktionen Altholz, Altmetall, Elektro-Großgeräte und Rest-Sperrmüll vor. Die Ausgestaltung erfolgt als Abrufsammlung, die der Nutzer gegen Gebühr in Anspruch nehmen kann. Das Angebot wird dabei um weitere gebührenpflichtige Service-Leistungen ergänzt (Express-Abfuhr, Vollservice, …).

Neben den Fortbestand der örtlichen Sammlungen sieht das Konzept ergänzend in den Schnittperioden (Frühling, Herbst) jeweils eine Straßensammlung für holzigen Grünschnitt und damit ein grundstücksnahes Entsorgungsangebot vor. Bestehende Sammlungen (z.B. Müllsäcke, Windelsäcke) werden fortgeführt.

Die Ausgestaltung der Bringsysteme mit Wertstoffhöfen und Grüngutsammelplätzen sieht die Übernahme sämtlicher bestehenden Einrichtungen bei den Kommunen durch den Landkreis vor. Das bestehende Angebot soll durch die Etablierung zwei weiterer Entsorgungszentren im Norden und Süden mit erweiterter Annahmepalette und längeren Öffnungszeiten ergänzt werden. Für die bestehenden Wertstoffhöfe sieht das Rekommunalisierungskonzept die Harmonisierung der Annahmepalette sowie eine Ausdehnung der Öffnungszeiten nach einer Größen-Klassifizierung (kleiner, mittlerer oder größerer Wertstoffhof) vor. Für den Wertstoffhof Nersingen ist die Zuordnung als größerer Wertstoffhof vorgeschlagen mit Annahmestunden von 17 Stunden pro Woche. Zur Sicherstellung der bedarfsgerechten Ausgestaltung ist bei den Bringsystemen eine kontinuierliche Überprüfung der jeweiligen Angebote sowie deren Inanspruchnahme und somit eine regelmäßige Optimierung von Annahmespektrum und Öffnungszeiten vorgesehen. Die Einrichtungen des Bringsystems stehen dabei allen Nutzern kreisweit offen. 

Mit dem von der Projektarbeitsgruppe empfohlenen Rekommunalisierungskonzept wird ein modernes zukunftsfähiges abfallwirtschaftliches Angebot beschrieben, das ein hohes Maß an Beeinflussbarkeit der Gebührenbelastung durch den jeweiligen Nutzer entsprechend dessen abfallwirtschaftliches Verhaltens öffnet, das sinnvolle Anreize zur Vermeidung und Trennung von Abfällen schafft und dabei gleichzeitig die bestehenden, im vergangenen Jahr mit der Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes nochmals verschärften abfallrechtlichen Vorgaben insbesondere zur getrennten Erfassung von Abfällen umsetzt.

Das Rekommunalisierungskonzept bedeutet im Vergleich zum Status quo bei den Kommunen aber auch, dass einerseits sämtliche bestehende Angebote (z.B. Standorte der Wertstoffhöfe und Grüngutsammelplätze, Grünabfallkompostierungsanlagen, Straßensammlungen für Grüngut, Windelsack, Vereinssammlungen etc.) übernommen und fortgeführt werden sowie andererseits ausgeweitet und ergänzt werden, u.a. durch

  • eine kreisweite getrennte Bioabfallerfassung,
  • eine kreisweite Sperrmüllsammlung mit Erfassung der Teilfraktionen Altholz, Altmetall, Elektro-Großgeräte und Sperrmüll,
  • eine kreisweite Grüngut-Straßensammlung,
  • die Etablierung zweier weiterer Entsorgungszentren im Norden und Süden des Kreises,
  • die Ausdehnung der Öffnungszeiten an den Wertstoffhöfen und Grünabfallsammelplätzen,
  • die Etablierung einer strukturierten Abfallberatung mit zielgruppenorientieren Angeboten,
  • die Stärkung der Services mit Etablierung digitaler Möglichkeiten


Das vorgeschlagene Rekommunalisierungskonzept bewahrt insoweit nicht nur die Etablierten, sondern ergänzt das bestehende Angebot in erheblichen Umfang.

Betrachtung Landkreis Neu-Ulm:
Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Auswirkungen führt das vorgeschlagene Rekommunalisierungskonzept (67 € je Einwohner) bei einem Vergleich mit den fortgeschriebenen Gesamtkosten (71 € je Einwohner), d.h. mit der Annahme, dass alle 14 betrachteten Kommunen eine den rechtlichen Anforderungen entsprechende getrennte Bioabfallsammlung anbieten würden, zu einer rechnerischen Kosteneinsparung von ca. 4 € je Einwohner. Bei der Bewertung des Rekommunalisierungskonzepts sind dabei aktuelle Marktpreise bereits berücksichtigt, während diese in den Gebührenkalkulationen der Kommunen noch nicht vollständig berücksichtigt sein dürften. Dies bedeutet, dass die Synergien aus der möglichen Rückübertragung dem Vorschlag entsprechend direkt in eine Verbesserung des Angebots für die Nutzer „investiert“ werden. Durch die Umstellung beim Gebührensystem (personenabhängige Grundstücksgebühr als Jahresgebühr) ist zu dem das Risiko von Gebührensteigerungen infolge eines gewünschten abfallwirtschaftlichen Verhaltens der Nutzer und damit einhergehend eine Reduzierung des Restabfall-Behältervolumens als Bezugsgröße der gegenwärtigen Gebühren bei den Kommunen reduziert.

Betrachtung Gemeinde Nersingen:
In der Vorauskalkulation für die kostenrechnende Abfallbeseitigung der Gemeinde Nersingen für die Jahre 2022 und 2023 errechnete sich ein jährlicher Gebührenbedarf von rd. 650.000 €. Bei 9.529 Einwohner (Stand 31.12.2021) sind dies Kosten von rd. 68 € je Nersinger Einwohner bei deutlich schlechterem Angebot für den Nutzer im Vergleich zum vorgeschlagenen Rekommunalisierungskonzept.

Zeitplan
Beschluss Werkausschuss zur Abfrage bei den Kommunen                08.03.2022
Beschluss Kommunen zur Rückdelegation                                        bis 30.05.2022
Information Werkausschuss                                                        31.05.2022
Beschluss Werkausschuss zur Rückdelegation                                14.07.2022
Beschluss Kreistag zur Rückdelegation                                        18.07.2022
Beginn bauliche Maßnahmen und Organisationsentwicklung                 ab 2. HJ 2022 
frühestmöglicher Termin Rückdelegation an den Landkreis                01.01.2025


Herr Moritz (AWB Neu-Ulm) und Herr Petschel (ECONUM Unternehmensberatung GmbH) werden in der Gemeinderatssitzung das Rekommunalisierungskonzept vorstellen und auftretende Fragen beantworten.
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Beschlussvorschlag

Die Gemeinde Nersingen steht dem vorgestellten Rekommunalisierungskonzept positiv gegenüber und stimmt einer Rückübertragung der abfallwirtschaftlichen Aufgaben an den Landkreis Neu-Ulm zu.

Diskussionsverlauf

Herr Moritz vom AWB und Herr Petschel von der Firma ECONUM Unternehmensberatung GmbH stellen das Rekommunalisierungskonzept vor und beantworten anschließend Fragen. 

Beschluss

Die Gemeinde Nersingen steht dem vorgestellten Rekommunalisierungskonzept positiv gegenüber und stimmt einer Rückübertragung der abfallwirtschaftlichen Aufgaben an den Landkreis Neu-Ulm zu.

Abstimmungsergebnis
Dafür: 5, Dagegen: 14

Datenstand vom 10.05.2022 14:46 Uhr