Bauleitplanung Nachbargemeinden - Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 62 für das Gebiet W 7 "Am Bergfeld" der Gemeinde Poing - Stellungnahme im Verfahren nach § 4 Abs. 1 BauGB


Daten angezeigt aus Sitzung:  Sitzung des Bauausschusses, 12.07.2018

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp Lfd. BV-Nr.
Bauausschuss Sitzung des Bauausschusses 12.07.2018 ö Beschliessend 92

Beschluss

Der Bauausschuss der Gemeinde Pliening erhebt gegen die 18. Änderung des Flächennutzungsplans der Gemeinde Poing für das Gebiet W 7„Am Bergfeld“ folgende Bedenken:

Die Planung – jedenfalls in der momentanen Fassung – ist nicht rechtswirksam durchzuführen, da der im Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB enthaltene Grundsatz der Konfliktbewältigung missachtet und, aus dem gleichen Grund, das interkommunale Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 BauGB verletzt wird.

Es ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass die verkehrlichen Auswirkungen eines Bebauungsplanes abwägungserheblich sind und zu einer Verletzung des Konfliktbewältigungsgebotes führen können (vgl. hierzu Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 2 Rn. 111).

Für die Frage des interkommunalen Abstimmungsgebotes ist ebenso in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass die planbedingte Verkehrszunahme ein substantiiertes Abstimmungserfordernis auslösen kann. § 2 Abs. 2 BauGB verleiht der Gemeinde einen gegen andere Planungsträger gerichteten Anspruch auf Abstimmung, der auf Rücksichtnahme und Vermeidung unzumutbarer Auswirkungen planerischer Entscheidungen gerichtet ist. Im materiellen Sinne bedarf es demnach einer Abstimmung immer dann, wenn „unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art“ in Betracht kommen (grundlegend: BVerwG, Urteil vom 15.12.1989, Az. 4 C 36.86). Unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art i. S. der Rechtsprechung des BVerwG können sich dabei auch allein aus einer Beeinträchtigung der verkehrlichen Belange im Gemeindegebiet der betroffenen Kommune ‑ hier Pliening ‑ ergeben. Zwar macht nicht jede verkehrliche Auswirkung einer Planung einen Abstimmungsvorgang erforderlich. Da § 2 Abs. 2 BauGB den Schutz der bestehenden sowie der in Planung und Entwicklung befindlichen städtebaulichen Ordnung der Nachbargemeinde bezweckt, greift das Abstimmungsgebot nur bei drohender Beeinträchtigung der genannten Rechtsposition ein. Geht es um die Verkraftung zusätzlicher Verkehrsmengen, erwächst der planenden Gemeinde eine Verpflichtung zur Abstimmung, wenn die eigene Planung geeignet ist, zu einer Überlastung des bestehenden Verkehrsnetzes auch in der Nachbargemeinde zu führen und diese möglicherweise dadurch zu eigener planerischer Folgenbewältigung ‑ wie etwa zum Ausbau bestehender oder Bau neuer Straßen ‑ gezwungen ist (vgl. hierzu: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.06.2017, Az. 2 D 59/16.ME).

Mit den derzeit vorliegenden Untersuchungen ist die interkommunale Abstimmung in materieller Hinsicht nicht durchführbar:

Den übersandten Planunterlagen liegt u. a. eine Verkehrsprognose bei. Danach liegt die Verkehrsbelastung auf der Kreisstraße EBE 2 (Plieninger Straße) aktuell bei 11.300 Kfz/Tag von der Einmündung Westring/Plieninger Straße in Richtung Ottersberg. (Zum Vergleich: Im Messbereich zwischen Landsham und der Einmündung der St 2332 (Geltinger Straße) in die Staatsstraße 2082 liegt die Verkehrsbelastung lt. der DTV-Zählung 2015 bei ca. 10.300 Fahrzeuge/Tag.)

Lt. Verkehrsprognose wird eine Verkehrszunahme von 1.500 Kfz/Tag in Richtung Ottersberg durch die Baugebiete W 7 und W 8 erwartet. Dies entspricht einer Steigerung von mehr als 13 Prozent.

Als Maßnahmen zur Verkehrsentlastung sind ein dreiarmiger Kreisverkehr an der Einmündung Bergfeldstraße/Kirchheimer Allee sowie eine Ampel an der Einmündung Westring/Plieninger Straße vorgesehen.

Diese Maßnahmen kommen ausschließlich Poing zugute. Im Gegenzug wird die Gemeinde Pliening mit mehr als 17 % des zusätzlich entstehenden Ziel- und Quellverkehrs belastet. Außerdem dürfte es durch die geplante Ampelanlage in der morgendlichen Spitzenstunde zu Verkehrsstaus in Ottersberg kommen. Schließlich hätte die Ampel möglicherweise Umbaumaßnahmen für die Querungshilfe Ottersberg zur Folge. Die Gemeinde Pliening wird in einem solchen Fall die Erstattung von Kosten durch die Gemeinde Poing prüfen.

Die geplante Wohnbebauung und das Gymnasium führen somit zu einer erheblichen Zunahme der Fahrzeugbewegungen auf der EBE 2 durch Ziel- und Quellverkehr.

In der Prognose wird außerdem davon ausgegangen, dass ebenfalls 1.500 Kfz/Tag in Richtung Süden, also nach Poing, fahren. Diese Annahme setzt jedoch voraus, dass die Fahrzeugführer ihr Ziel im Süden bzw. Südosten haben. Ansonsten würde die Fahrzeuge am Kreisel westlich von Poing (Höhe OMV-Tankstelle) Richtung Grub auf die übrigen aus den Baugebieten entlang der Bergfeldstraße strömenden Fahrzeuge treffen.

Derartige Auswirkungen sind für sich betrachtet bereits nicht hinnehmbar. Hinzu kommt die Weigerung der Gemeinde Poing, einer Anbindung an die seit Jahren im Raum stehenden Umgehungsstraße Pliening-Landsham zuzustimmen, die vor dem Hintergrund der jetzt vorgelegten Planung umso schwerer wiegt. Bereits hieraus wird deutlich, dass eine qualifizierte interkommunale Abstimmung erforderlich ist, um im Rahmen der Konfliktbewältigung das Thema „Verkehr“ zunächst zu betrachten und sodann abwägungsgerecht abzuarbeiten.

Schließlich sind auch die ebenfalls bekannten Planungen der Gemeinden Kirchheim b. München („Kirchheim 2030“) und Vaterstetten („Gewerbepark und Sondergebiet Logistik“) und die damit verbundenen Verkehrsentwicklungen zu berücksichtigen.

Dies kann sachgerecht nur unter Berücksichtigung des überörtlichen Verkehrskonzeptes für den Münchner Osten, dass inzwischen beauftragt wurde, erfolgen.

Öffentlicher Personennahverkehr
Außerdem bleibt die Grundproblematik der S-Bahn-Linie S 2 unberücksichtigt.

Bereits heute ist festzustellen, dass die S-Bahn-Linie S 2 ausgebaut werden muss, um die Kapazitäten, die künftig erforderlich sind, um der gesamten Siedlungsentwicklung im Münchner Osten gerecht zu werden. Ferner ist eine Verschlechterung der jetzigen Situation durch den sogenannten 15 Minuten-Takt im Rahmen der zweiten Stammstrecke zu erwarten.

So verkehren momentan im Zeitfenster von 05.56 Uhr und 07.56 Uhr zwischen dem Markt Markt Schwaben und dem Haltepunkt Riem insgesamt zwölf S-Bahnen. Bei einem 15 min-Takt werden rechnerisch nur noch neun S-Bahnen verkehren. Dies bedeutet, dass sich bei gleichbleibenden Zuglängen die Kapazität um 25% verringern würde.

Berücksichtigt man ferner, dass der Bahnhof St. Koloman nur mit einer Bahnsteiglänge von 140 m ausgebaut wird, sind durchgängige Langzüge (erforderlicher Bahnsteig-Längenbedarf: 210 m) auf der Strecke Erding - Riem, die an jeder Station halten, bereits dadurch faktisch ausgeschlossen.

Die Lösung könnte in einem Halt der Express-S-Bahn in Poing, dem Halt des Regionalzuges KB 940 Mühldorf-München in Poing oder in der Errichtung einer Express-Bus-Linie zwischen Pliening und der Messe München - eingebunden im MVV - liegen.

Die Gemeinde Pliening fordert daher die Planungen bis zum Abschluss eines überörtlichen Verkehrskonzeptes zurück zu stellen.

Planerische Auswirkungen:
Wie ausgeführt, soll eine Bebauung mit drei- bzw. viergeschossigen Wohngebäuden entstehen. Lt. soll Begründung eine Höhenstaffelung von Süden nach Norden erfolgen.

Eine solche „Staffelung“ findet jedoch lediglich im westlichen Teil des Baugebietes statt. Dort wird die Anzahl der Vollgeschosse von fünf (für das geplante  Gymnasium) auf drei (nördliche Bauzeile der Wohngebäude, Bauquartier WA 8.1) reduziert.

Für die Gemeinde Pliening ist in diesem Zusammenhang die geplante viergeschossige Bebauung am östlichen Rand des Plangebietes in unmittelbarer Nähe zur Gemeindegrenze relevant. Der Abstand der geplanten Wohnhäuser beträgt hier weniger als 50 m zur Gemeindegrenze und soll mit einer Wandhöhe von 12,7 m erfolgen. Da lt. Bebauungsplan die maximal zulässige Firsthöhe 6,0 m über der Wandhöhe liegen darf, beträgt die mögliche maximale Firsthöhe in diesem Bereich 18,7 m. (Zum Vergleich: Die Hochregallagerhalle der Fa. Ratioform im Gewerbegebiet Landsham weist eine Wandhöhe von ca. 14,60 m auf.) Außerdem zeichnen sich die Bauquartiere WA 2.1, 2.2 und 7.1 mit einer besonders Baudichte aus.

Diese Planung deutet, entgegen der Begründung zum Bebauungsplan, nicht nur auf ein völliges Desinteresse an der Wahrung des Landschaftsbildes und eine städtebauliche Ignoranz hin, sondern zeigt deutlich eine völlige Rücksichtslosigkeit gegenüber der angrenzenden Gemeinde. Eine faktisch fünfgeschossige Bebauung unmittelbar an der Grenze zu einer Nachbargemeinde zu realisieren, ohne dass diese von der betroffenen Gemeinde aufgenommen bzw. fortgeführt werden würde, zeugt von einem Verstoß gegen die fundamentalen Vorgaben des § 2 Abs. 2 BauGB. In diesem Zusammenhang muss die Frage geklärt werden, wie bei einer Firsthöhe von bis zu 18,7 m das städtebauliche Ziel einer „wirksamen Eingrünung“ (Punkt 3, achter Spiegelstrich der Begründung) erreicht werden soll. Auch hier ist, wie bei den verkehrlichen Auswirkungen darauf zu verweisen, dass § 2 Abs. 2 BauGB der Gemeinde einen gegen andere Planungsträger gerichteten Anspruch auf Abstimmung verleiht, der auf Rücksichtnahme und Vermeidung unzumutbarer Auswirkungen planerischer Entscheidungen gerichtet ist. Im materiellen Sinne bedarf es demnach einer Abstimmung immer dann, wenn „unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art“ in Betracht kommen (grundlegend: BVerwG, Urteil vom 15.12.1989, Az. 4 C 36.86).

In diesem Zusammenhang ist auf folgendes hinzuweisen: Die Gemeinde Poing begründet die Entscheidung bei den letzten beiden, nördlichen Baugebieten eine massive Nachverdichtung vorzunehmen mit dem „großen Bedarf an Wohnungen, insbesondere in einem für breite Bevölkerungsschichten bezahlbaren Preissegment“. Dies ist umso erstaunlicher, als dieser Bedarf bereits seit mehreren Jahren besteht und auch bereits in den früheren Bauquartieren, städtebaulich wesentlich verträglicher, hätte berücksichtigt werden können.

Um den Zielsetzungen der Begründung auch planerisch zu folgen, ist die viergeschossige Bebauung in unmittelbare Nähe zum fünfgeschossigen Gymnasium zu verlegen. In Gegenzug ist die Bebauung nach Norden bzw. Osten zu reduzieren, so dass am unmittelbaren Ortsrand lediglich eine maximal zweigeschossige Bebauung entsteht.

Naherholung:
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass durch die geplante Bebauung die Gemeinde Pliening erheblich negativ betroffen wird, da – mangels Alternativen im eigenen Gemeindegebiet – die neuen Bewohner ihre Naherholung unter anderem auf den Feldwegen der Gemeinde Pliening suchen werden. Neben dem erhöhten Unterhaltsaufwand für die öffentlichen Wege sind hier insbesondere die Hinterlassenschaften von Hunden zu erwähnen. Nicht oder nicht richtig entsorgter Kot kann in die landwirtschaftlich genutzten Flächen gelangen und damit letztendlich in die Nahrungskette.

Um dieser Entwicklung entgegen zu treten, wird die Streichung der geplanten Geh- und Radweganbindungen an die bestehenden Wege auf dem Gemeindegebiet Pliening gefordert.

Bis zur Vorlage einer Lösung, die die vorgenannten Punkte berücksichtigt, wird die vorliegende Planung unter Verweis auf § 2 BauGB abgelehnt.

Die Verwaltung wird beauftragt, die Regierung von Oberbayern, das Landratsamt Ebersberg und der Regionale Planungsverband München über die Stellungnahme der Gemeinde Pliening zu informieren.

Abstimmungsergebnis
Dafür: 10, Dagegen: 0

Datenstand vom 27.07.2018 10:19 Uhr