Rad Fahrende unterliegen gemäß § 2 Abs. 1 und 2 Straßenverkehrsordnung dem Rechtsfahr- und Fahrbahnbenutzungsgebot. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom Herbst 2010 dürfen Rad Fahrende daher nur dort zur Benutzung der Radwege gezwungen werden, wo das Fahren auf der Straße eine "konkrete Gefahr" bedeutet. Eine konkrete Gefahr liegt dann vor, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigt. Somit sollen Rad Fahrende überall dort, wo es möglich ist, auf der Straße im fließenden Verkehr mitfahren dürfen. Denn laut Unfallstatistik und Aussagen vieler Experten fahren Rad Fahrende auf der Straße häufig am sichersten, weil sie dort vom Kraftfahrzeugverkehr besser gesehen werden und es daher deutlich seltener zu Konflikten mit abbiegenden Fahrzeugen kommt. Seither überprüfen Städte und Gemeinden in ganz Deutschland nach und nach alle Radwege und haben in vielen Straßen die Benutzungspflicht durch Abbau der blauen Radwegschilder bereits aufgehoben.
In Poing hat überdies der Bau- und Umweltausschuss in seiner Sitzung vom 07.06.2016 bzw. der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 23.06.2016 einstimmig beschlossen, dass die Gemeinde Poing es sich als Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der fahrradfreundlichen Kommunen in Bayern e. V. (AGFK) zum Ziel setzen wird, den Radverkehr in besonderem Maße zu fördern. Die Aufnahmekriterien der AGFK Bayern stellen dabei eine wesentliche Grundlage für die Radverkehrsförderung dar.
An die Verwaltung erging somit durch den Gemeinderat der konkrete Auftrag, die für die vollständige Aufnahme erforderlichen Maßnahmen „M 2.3.3 Prüfung der Radwegebenutzungspflicht“, „M 2.3.5 Beschilderungssituation Bike & Ride“ und „M 2.4.1 Zwei-Richtungsradwege innerorts vermeiden“ zu prüfen. Die Maßnahmen waren insbesondere das Ergebnis einer Befahrung mittels Fahrrad im Rahmen der Vorbereisung der „Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundliche Kommunen in Bayern“ im März 2016, an der neben Polizei und Gemeinde auch Vertreter des bayerischen Innenministeriums, der Geschäftsstelle der AGFK sowie des ADFC teilgenommen hatten.
Die Prüfungsergebnisse wurden dem Gemeinderat am 21.07.2016 im Rahmen einer Bekanntgabe vorgestellt. Es wurde hierbei dargelegt, dass eine besondere Gefahrenlage, die eine Radwegbenutzungspflicht in der Kirchheimer Allee, in der Bergfeldstraße und in der Straße Am Hanselbrunn länger erforderlich machen würde, nach den behördlichen Erkenntnissen auch von Polizei und Landratsamt (als Untere Straßenverkehrsbehörde und Teil der Unfallkommission) nicht vorliegen würde. Dies sei insbesondere das Ergebnis der gemeindlichen Verkehrsschau mit Polizei und Landratsamt im April 2016.
Das Landratsamt Ebersberg teilte aktuell neuerlich mit, dass nahezu alle Unfälle mit Rad Fahrenden nicht auf der Fahrbahn passieren würden. Daher gelte auch die Vorgabe, dass innerhalb geschlossener Ortschaften die Radwegbenutzungspflicht aufzuheben ist, wenn nicht schwerwiegende Gründe dagegen stünden.
Die Polizeiinspektion Poing berichtete ebenfalls aktuell, dass es im Gemeindegebiet Poing im letzten 3-Jahresauswertungszeitraum (2012-2014) keinen Unfallschwerpunkt gegeben hätte. Besonders unfallbelastet waren im Gemeindegebiet in den vergangenen Jahren allerdings die Kreisstraßen EBE 1 (Anzinger Straße – Hauptstraße - Gruber Straße) und EBE 2 (Plieninger Straße - Neufarner Straße) gewesen.
Die Aufhebung der Radwegbenutzungspflicht stellt somit eine Rechtsfolge dar.
Hierbei wird nicht verkannt, dass es nach polizeilichen Erkenntnissen Unfälle mit nicht angepasster Geschwindigkeit in den Jahren 2010 – 2016 u. a. auch in der Straße Am Hanselbrunn, in der Bergfeldstraße sowie in der Kirchheimer Allee gegeben hatte. Aus Sicht der Verwaltung muss diesen Verstößen wirksam durch Ahndung, Aufstellung von Geschwindigkeitsanzeigegeräten und ggf. baulichen Maßnahmen begegnet werden; sie rechtfertigen nach der höchsten Verwaltungsrechtsprechung jedoch für sich alleine noch keine Radwegbenutzungspflicht. Für die Problematik der Geschwindigkeitsübertretungen prüft daher die Verwaltung eigene Maßnahmenvorschläge, die im Frühjahr 2017 dem Gemeinderat vorgestellt werden.
Ebenso wurde die Radwegbenutzungspflicht nördlich des Park- und Ride-Gebäudes aufgehoben. Hintergrund ist, dass dieser Bereich Teil einer Tempo 30-Zone ist, in der bereits grundsätzlich keine Radwegbenutzungsplichten ausgesprochen werden dürfen.
Die vorhandenen Radverkehrsanlagen („bauliche Radwege“) dürfen natürlich weiter benutzt werden. Insoweit besteht z. B. in Teilen der Bergfeldstraße dann ein Wahlrecht, ob die Rad Fahrenden den Radweg oder die Fahrbahn benutzen möchten.
Die Zulassung von Radverkehr auf Gehwegen mittels Zusatzzeichen „Radverkehr frei“ ist grundsätzlich aber eine Ausnahme. Beeinträchtigungen von zu Fuß-Gehenden werden durch dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis auf ein vertretbares Mindestmaß eingeschränkt.
Für den Bereich Kirchheimer Allee (zwischen Gruber Straße und abknickender Vorfahrt) sowie in Teilen der Straße „Am Hanselbrunn“ prüft die Verwaltung, ob eine Freigabe der Gehwege für den Radverkehr durch ein entsprechendes Zusatzzeichen zulässig ist. Gemäß Straßenverkehrs-ordnung gilt dann allerdings die Einhaltung der Schrittgeschwindigkeit.
Für die weitere Kirchheimer Allee muss dies derzeit aus Verkehrssicherheitsgründen ausscheiden. In diesem Zusammenhang darf erinnert werden, dass Poing für diesen Abschnitt in der Kirchheimer Allee durch die Initiative Cycleride für den Negativpreis „Pannenflicken 2015“ nominiert wurde. In der Begründung der Initiative lautete es: „Der Weg ist in mehrfacher Hinsicht rechtswidrig und dient nicht der Sicherheit des Radverkehrs. Ganz im Gegenteil, hier werden Gefahren geschaffen, die bei einer Führung des Radverkehrs auf der Fahrbahn nicht gegeben wären.“ Die Presse berichtete.
Um Konflikte zwischen Autofahrern und Radlern zu vermeiden, ist ferner Aufklärungsarbeit sehr wichtig. Auch die Aufhebung der Radwegbenutzungspflicht muss entsprechend vor Ort kommuniziert und bekannt gemacht werden. Daher erfolgte eine Information der Schulen, eine Pressemitteilung sowie die Berichterstattung auf der gemeindlichen Homepage vor Ferienbeginn, die Aufstellung der Warnbeschilderung in den Weihnachtsferien sowie eine neuerliche Information nach den Ferien (Pressegespräch, Ortsnachrichtenblatt, Bekanntgabe im Gemeinderat).
Die Öffentlichkeitsarbeit wird selbstverständlich fortgesetzt: So ist zu Beginn der „Radlsaison“ eine Informationsveranstaltung „vor Ort“ geplant, an der Polizei und Gemeinde für Fragen zur Verfügung stehen. Zu der Veranstaltung werden auch das Landratsamt und die AGFK eingeladen. Der Termin wird rechtzeitig im Ortsnachrichtenblatt veröffentlicht.
In der Aussprache wurde vom Gemeinderat deutliches Unverständnis über diese Maßnahmen geäußert. Die Verwaltung wurde gebeten, geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit für Rad Fahrende innerörtlich in der Kirchheimer Allee zu prüfen und auch weitere Straßenzüge, beispielsweise den Westring und die Blumenstraße, einzubeziehen. Entsprechende Vorschläge sollen mit Fachleuten erörtert und dann dem Gemeinderat zur Entscheidung vorgelegt werden.