Erlass einer Satzung der Gemeinde Schäftlarn über die Tiefe der Abstandflächen (Abstandsflächensatzung – AFS)


Daten angezeigt aus Sitzung:  Sitzung des Gemeinderates, 27.01.2021

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.
Gemeinderat (Gemeinde Schäftlarn) Sitzung des Gemeinderates 27.01.2021 ö 12

Sachverhalt

Mit dem Gesetz zur Vereinfachung baurechtlicher Regelungen und zur Beschleunigung sowie Förderung des Wohnungsbaus vom 23.12.2020 (GVBl. 2020, Seite 663) wurde die Bayerische Bauordnung u.a. auch im Hinblick auf das Abstandsflächenrecht novelliert
Zusammenfassung: Der Landesgesetzgeber hat mit Wirkung zum 01.02.2021 die Abstandsflächenvorschriften der Bayerischen Bauordnung dergestalt geändert, so dass im Grundsatz anstelle der vollen anrechenbaren Wandhöhe (1 H) nur mehr 40% der anrechenbaren Wandhöhe (0,4 H), mindestens aber 3m einzuhalten sind. Das sog. 16m-Privileg, wonach bei Gebäuden bis max. 16m Länge an zwei Gebäudeseiten nur die halbe Wandhöhe einzuhalten war, ist entfallen. Aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Nachbarschutz) übernimmt der Satzungsentwurf die Vorgabe des Gesetz­gebers, dass der Faktor der Abstandsflächentiefe bei allen Gebäudeseiten gleich sein soll. 
Dem Satzungsentwurf liegt eine Abstandsflächentiefe von 0,65 H zugrunde, aufgrund veränderter Dachanrechnungsvorgaben würde dies näherungsweise nach der bis 31.01.2021 anzuwendenden Berechnungsmethodik einer gleichseitigen Abstands­flächentiefe von 0,80 H (alt) entsprechen.
  1. Rechtslage bis zum 31.01.2021
Nach der bis zum 31.01.2021 geltenden Fassung war in Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO geregelt, dass die Tiefe der Abstandsflächen außerhalb von Kerngebieten, festgesetzten urbanen Gebieten sowie Gewerbe- und Industriegebieten 1H beträgt, aber mindestens 3 m betragt. Die Tiefe der Abstandsfläche bemisst sich nach der Wandhöhe H. Dies bedeutet, dass 1 H die Abstandsflächentiefe der vollen Wandhöhe zur Folge hat. Nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 HS 1 BayBO in der Fassung bis zum 31.02.2021 konnte vor zwei Außenwänden von nicht mehr als 16 m Länge die Tiefe der Abstandsflächen auf die Hälfte der erforderlichen Tiefe, mindestens jedoch 3 m, verkürzt werden (sog. 16m-Privileg).
  1. Rechtslage ab dem 01.02.2021
Mit der zum 01.02.2021 in Kraft tretenden Novellierung der Bayerischen Bauordnung wurde Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO dergestalt neu gefasst, dass mit Ausnahme von Gewerbe- und Industriegebieten die Tiefe der Abstandsflächen grundsätzlich 0,4 H beträgt, also 40% der anrechenbaren Wandhöhe, mindestens aber 3 m. Gleichzeitig wurde die Hinzurechnungsregelung der Dachflächen (Art. 6 Abs. 4 BayBO) geändert, so dass u.a. die Abstands­flächen auf der Giebelseite nicht mehr wie bisher notwendigerweise rechteckig sein werden (siehe dazu näher das Schaubild bei TOP 7 der Sitzung des Bau-, Planungs- und Ortsentwicklungsausschusses vom 07.12.2020). Zudem hat der Gesetz­geber mit Blick auf die Verkürzung des Maßes der Tiefe der Abstandsflächen zum 01.02.2021 das bisher in Art. 6 Abs. 6 BayBO (alt) geregelte 16 m-Privileg gestrichen (siehe dazu Seite 3 der Vollzugshinweise vom 07.01.2021).
  1. Umfang der gemeindlichen Satzungsermächtigung
Die Gemeinde können allerdings ab dem 15.01.2021 mit Wirkung zum 01.02.2021 nach Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO durch städtebauliche Satzung (Bebauungsplan) oder eine Satzung nach Art. 81 BayBO ein abweichendes Maß der Tiefe der Abstandsfläche regeln. Nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 6 BayBO sind die Gemeinden ermächtigt, per Satzung eine Erhöhung Maß der Tiefe der Abstandsfläche auf bis zu 1,0 H festzusetzen, mindestens 3 m, insbesondere, wenn dies der Verbesserung oder Erhaltung der Wohnqualität dient.
  1. Vorhandener Baubestand im Anwendungsbereich der AFS
Die Gemeinde hat aufgrund der Bestandserhebung für die am 22.04.2020 beschlossene Neufassung der Örtlichen Bauvorschriften einen umfassenden aktuellen Kenntnisstand hinsichtlich des in sämtlichen Gemeindeteilen vorhandenen Gebäudebestands. Der Abstands­flächensatzung als abstrakt-generelles Regelwerk wurde zugrunde gelegt, dass die Wohnqualität im Gemeindegebiet in vielen Bereichen durch größere Abstände zwischen den Gebäuden geprägt ist. Vielfach findet das Wohnen in lockeren dörflichen Strukturen mit Ein- und Zweifamilienhäusern statt, die maßgeblich durch einen großzügigen Abstand zum Nachbarn geprägt sind. Diejenigen Teilbereiche im Gemeindegebiet, die dichter als das Normalmaß entwickelt sind, wurden im Rahmen von städtebaulichen Satzungen (Bebauungspläne) nachverdichtet, so dass auf­grund des sich aus § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB ergebenden Vorrangs des Bebauungs­plans (siehe § 3 Satz 1 AFS in Verbindung mit Satz 6 Halbsatz 2 der Begründung zu § 3 AFS; siehe dazu eingehend S. 4 der Vollzugshinweise vom 07.01.2021) die An­wendbarkeit der AFS zurücktritt.
  1. Folgenabschätzung der Festsetzung eines Maßes der Tiefe der Abstandsflächen von 0,65 H
Bei vergleichbarer überbaubarer Grundfläche (z.B. bei einer GRZ von 0,20) hat der Entfall des 16m-Privilegs im nicht überplanten Innenbereich zur Folge, dass aufgrund des nach allen Seiten gleichen Maßes der Abstandsflächentiefe zukünftig eine grundstückszentrierte Situierung der Baukörper erfolgen wird (die Wohngebäude werden künftig „mittiger“ angeordnet). Bei länglich-rechteckigen Grundstückzuschnitten, trat in der Vergangenheit oftmals die Situation auf, dass zur Ausnutzung des 16m-Privilegs Wohngebäude sehr dicht an die Grundstücksgrenze herangerückt werden konnten, wodurch die Gebäude wegen der gleichzeitigen Längenbegrenzung auf 16m vergleichsweise breit gebaut wurden (Altregelung: „Tendenz zum quadratischen Baukörper“). Aufgrund des Entfalls der Längenbegrenzung auf 16m werden die Bauwerber im vorstehend geschilderten Fall bei der nach Art. 6 Abs. 4 BayBO in der Fassung ab dem 01.02.2021 zu berechnenden Abstandsflächentiefe eine vergleichbare überbaubare Gebäudegrundfläche wie nach alter Rechtslage dadurch erreichen, indem die Baukörper nunmehr länger als 16m und dafür ggf. etwas schmäler ausgeführt werden (Neuregelung: „Tendenz zum rechteckigen Baukörper“). Diese vom Landesgesetzgeber hervorgerufenen mittelbaren Folgewirkungen der Neu­regelung des Abstandsflächenrechts harmonieren ausgezeichnet mit der Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 2 der ÖBV in der Fassung vom 22.04.2020, wonach die Länge des Baukörpers mindestens 20% größer als die Breite sein muss
Soweit Gebäude an ein oder sogar zwei Grundstückseiten an öffentliche Verkehrsflächen bzw. öffentliche Grünflächen angrenzen, dürfen sich die Abstandsflächen auf die halbe Tiefe auch auf diese Flächen erstrecken. In diesen Fällen ist auch bei einem gleichseitigen Maß der Abstandsflächentiefe das dichtere Heranrücken von Gebäuden an die Grundstücksgrenze weiterhin möglich. 
Bei Bauvorhaben, die nicht vom Anwendungsbereich des entfallenen 16m-Privilegs erfasst waren, sind keine wesentlichen nachteiligen Folgen im Vergleich zur Rechtslage bis zum 31.01.2021 zu erwarten. 

  1. Härtefälle
Durch den Entfall des 16m-Privilegs zum 01.02.2021 wird zwar das Abstandsflächenrecht im Sinne des Nachbarschutzgedankens zwar nunmehr gleichheitsgemäß angewendet, allerdings darf hierbei nicht verkannt werden, dass durch den auf Seiten des Gesetzgebers damit einhergehenden Zwang zur Abstraktion und Verallgemeinerung prinzipiell die Tatbestandsmerkmale einer Norm auch atypische Sachverhalte erfassen (sog. „normativer Überhang“; siehe dazu Simon/Busse, BayBO, Art. 63 Rdnr. 27).  Diese Härte, d.h. die Anordnung einer bestimmten Rechtsfolge wie etwa vorliegend einer Abstandsflächentiefe von 0,65 H ist auf abstrakt-genereller Ebene gewollt, diese ist gleichsam der Preis, den der Normgeber dafür zahlt, dass er -ohne auf dieser Ebene bereits jedem Einzelfall gerecht werden zu können- abstrakte, typisierende Tatbestands­merkmale aufnehmen muss.
Soweit sich diese Härte im konkret-individuellen Einzelfall aber als unbillig erweist, kann sich für den Bauwerber ein Anspruch auf eine Härtefallentscheidung ergeben. Als Pendant zur Befreiung im Städtebaurecht gem. § 31 BauGB existiert im Landesrecht die Möglichkeit einer Abweichung nach Art. 63 BayBO, um im konkreten Einzelfall unbillige Härten auch im Hinblick auf die durch Art. 14 GG geschützten Interessen des Bauherrn sachgerecht auflösen zu können.  
Allen Fällen einer unbeabsichtigten oder unbilligen Härte muss eine atypische Grundstückssituation zugrunde liegen, aus der sich im Einzelfall der Konflikt zwischen dem Regelungsziel und der von der Regelung angeordneten Rechtsfolge ergeben muss. Wirtschaftliche Erschwernisse oder besondere persönliche Verhältnisse des Bauherrn rechtfertigen eine Abweichung grundsätzlich nicht (siehe Simon/Busse, BayBO, Art. 63 Rdnr. 29).  

Mögliche Fallgruppen von Abweichungen nach Art. 63 BayBO (nicht abschließend):
  • Nutzungsänderung eines Bestandsgebäudes (Verlangt die Änderung oder Nutzungs­änderung eine abstandsflächenrechtliche Beurteilung des gesamten Objekts, so müsste das Vorhaben auch dann abgelehnt werden, wenn durch die Änderung weder die Belange der Nachbarn, noch öffentliche Belange nennenswert beeinträchtigt werden. In diesem Fall kann dem Interesse des Bauwerbers an der sinnvollen Verwertung der Bausubstanz durch die Erteilung einer Abweichung Rechnung getragen werden (siehe Satz 18 der Begründung zu § 1 der AFS, näher dazu auch Simon/Busse, BayBO, Art. 63 Rdnr. 28).
  • Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes als Ersatzbau im nicht überplanten Innenbereich an gleicher Stelle (entsprechend dem Rechtsgedanken von § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB). Dazu ist es erforderlich, dass das Missstände oder Mängel aufweisende Gebäude zulässigerweise errichtet worden ist. Soweit in dieser Fallgruppe nachbarliche Belange und nicht ausschließlich öffentliche Belange berührt sind, wird bei der Begründung der atypischen Fallgestaltung in besonderer Weise darzulegen sein, warum die Errichtung eines gleichartigen Ersatzbaus nicht auch unter Einhaltung der in § 1 AFS angeordneten Abstandsflächentiefe realisiert werden kann.
  • Partiell verdichtete Teilbereiche mit historischer Bausubstanz aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes 1960 / der Bayerischen Bauordnung von 1962 im Innenbereich (z.B. bei verdichtet bebauten, historisch gewachsenen landwirtschaftlichen Gehöften im Innenbereich, die ursprünglich auf der Grundlage der Bayerischen Bauordnung von 1901 [zuletzt geändert 1959] bzw. vorhergehender Bauordnungen genehmigt wurden, wenn nach­barliche Belange nicht überwiegend nachteilig berührt werden).
  • Rechtliche Vorbindung der Baubehörde (z.B. bei [relativer] Bestandskraft eines Vor­be­scheids mit Feststellungswirkung hinsichtlich des Abstandsflächenrechts sowie im Fall von Gerichtsentscheiden u.ä.).

Der Entwurf der in Anlage beigefügten Satzung der Gemeinde Schäftlarn über die Tiefe der Abstandflächen (Abstandsflächensatzung – AFS) nebst Begründung wird in der Sitzung erläutert.

Diskussionsverlauf

Herr Waldherr erläutert, dass das in der Satzung vorgesehene Maß der Tiefe der Abstandsflächen von 0,65 H gem. neuer Berechnungsmethode in etwa 3-5% über den geforderten Abstandsflächen des bisherigen 16m-Privilegs nach alter Berechnungs­methode (Art. 6 Abs. 4 BayBO in der bis zum 31.01.2021 anzuwendenden Fassung) liegen würde. Damit ist eine gute Grundstücksausnutzung durch die Bauherren weiterhin sichergestellt und gleichzeitig dem Nachbarschutz hinreichend Rechnung getragen.
Herr Blomeyer ergänzt, dass man die AFS zu gegebener Zeit evaluieren könne.
Herr Dr. Ruhdorfer betont, dass es wichtig ist, dass die Gemeinde eine Abstandsflächensatzung hat. Die bisherige Rechtslage hatte im Bereich des 16m-Privilegs den Vorteil, dass die Gebäude nicht zentriert angeordnet werden mussten.

Beschluss

Der Gemeinderat beschließt die Satzung der Gemeinde Schäftlarn über die Tiefe der Abstandflächen (Abstandsflächensatzung – AFS) vom 27.01.2021 nebst Begründung.   Das Maß der Abstandsflächentiefe in § 1 AFS beträgt 0,65 H.

Abstimmungsergebnis
Dafür: 19, Dagegen: 0

Datenstand vom 14.02.2024 15:43 Uhr