Behandlung des Bürgerantrages nach Art. 18b der Gemeindeordnung (GO) für den Freistaat Bayern auf Einstellung des Bauleitplanverfahrens zur Errichtung einer psychosomatischen Reha-Klinik auf der Reiter Alm


Daten angezeigt aus Sitzung:  Sitzung des Gemeinderates, 14.05.2024

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.
Nicht sichtbar
Gemeinderat Sitzung des Gemeinderates 14.05.2024 ö beschließend 3

Vorgang

Sachverhalt:
Am 01.02.2024 sprach Frau Gabriele Noreisch beim Ersten Bürgermeister Martin Öttl vor und hat einen Ordner mit 1536 Unterschriften für einen Bürgerantrag abgegeben. Vereinzelt wurden Unterschriften schriftlich zurückgezogen.
Der Bürgerantrag und das formelle Verfahren sind in Art. 18b GO geregelt.
In der Sitzung des Gemeinderates am 20.02.2024 hat der Gemeinderat die formelle Zulässigkeit des Bürgerantrages nach Art. 18b Abs. 4 GO festgestellt.
Ist die Zulässigkeit des Bürgerantrags festgestellt, hat ihn das zuständige Gemeindeorgan innerhalb von drei Monaten zu behandeln (Art. 18b Abs. 5 GO).
Der Bürgerantrag lautet wie folgt:

Dem Bürgerantrag liegt ein Begleitschreiben vom 01.02.2024 vor, welches -bis auf den Teil, welcher lediglich den Bürgerantrag wiederholt- verlesen wird.

Derzeitiger Verfahrensstand:
In der Sitzung des Gemeinderates vom 18.10.2022 wurde -bei jeweils vier Gegenstimmen- folgendes beschlossen:
  1. Beschluss-Nr. 141/2022
Aufstellungsbeschluss zur Änderung des Flächennutzungsplanes mit dem Inhalt der Änderung der Sondergebietsbezeichnung von „SO Erholungs- und Kongresszentrum“ in ein „SO Gesundheit und Erholung“.
  1. Beschluss-Nr. 142/2022
Aufstellungsbeschluss zur Neuaufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplanes „REHA-Klinik Reiter Alm“.

Weitere formelle Verfahrensschritte wurden noch nicht eingeleitet. 
Im Januar 2023 wurde eine Bürgerinformationsveranstaltung abgehalten.
Die Durchführung der formellen Verfahrensschritte „frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit“ nach § 3 Abs. 1 BauGB und „frühzeitige Beteiligung der Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange“ nach § 4 Abs. 1 BauGB war nach Ausarbeitung und Prüfung aller notwendigen Unterlagen für Februar 2024 vorgesehen, wurden aber nach Eingang des Bürgerantrages zurückgestellt.
Das vergangene Jahr wurde genutzt, notwendige Gutachten zu erstellen und die Planung nach den hohen Qualitätsansprüchen der Gemeinde weiterzuführen. Auf Basis der bisher erstellten Gutachten und fachlichen Stellungnahmen haben sich keine Planungshindernisse gezeigt, die einer Umsetzung des Vorhabens nachhaltig entgegenstehen würden.

Anmerkungen zum Inhalt des Bürgerantrages:
  1. Bestimmtheit hinsichtlich der/des Verfahrens, welches eingestellt werden soll
Laut Bürgerantrag wird beantragt, das Bauleitplanverfahren zur Errichtung einer psychosomatischen Reha-Klinik auf der Reiter Alm sofort einzustellen.
Wie oben unter „derzeitiger Verfahrensstand“ ausgeführt, wurden Aufstellungsbeschlüsse für zwei Bauleitplanverfahren beschlossen, nämlich die Änderung des Flächennutzungsplanes und die Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplanes.
Es wird seitens der Verwaltung davon ausgegangen, dass der Bürgerantrag sinngemäß dahingehend ausgelegt werden soll, dass die Einstellung beider Bauleitplanverfahren beabsichtigt ist.
  1. Unzutreffende Sondergebietsbezeichnung
Es wird beantragt, das „geltende Sondergebiet für Gastronomie und Wellness“ zu erhalten. 
Es gibt jedoch kein geltendes Sondergebiet für Gastronomie und Wellness. 
Im rechtsgültigen Flächennutzungsplan der Gemeinde Ainring wurde in der vergangenen Legislaturperiode ein Sondergebiet „Erholungs- und Kongresszentrum“ dargestellt. Die Darstellung im Flächennutzungsplan begründet jedoch kein Baurecht, sondern stellt lediglich eine interne Planungsvorgabe für die Gemeinde dar.
Ein Bebauungsplan existiert für das Areal bislang nicht. Änderungen, Erweiterungen oder Umnutzungen wären nach aktueller Rechtslage daher nur auf Basis der Möglichkeiten des § 35 BauGB möglich.
Der „Erhalt des geltenden Sondergebiets für Gastronomie und Wellness“ ist daher tatsächlich nicht möglich; die Ausweisung eines solchen Sondergebietes würde ebenfalls eine Änderung des Flächennutzungsplans oder – je nach Verständnis – sogar die
Neuaufstellung eines Bebauungsplans erfordern.
Die Verwaltung geht aber in Zusammenschau mit den weiteren Ausführungen des Antrags davon aus, dass mit der Formulierung das Ziel verfolgt werden soll, den aktuell gültigen Flächennutzungsplan nicht zu ändern und keinen neuen Bebauungsplan aufzustellen.
  1. Bewertung der Auswirkungen der Baumaßnahme
Auch der Gemeinderat nimmt im laufenden Verfahren für sich in Anspruch, die Ainringer Högl-Landschaft bewahren zu wollen und legt allergrößten Wert darauf, dass das harmonische Landschaftsbild nicht zerstört wird.
Die daher seitens der Gemeinde formulierte Zielvorgabe ist die schonende Einbindung des geplanten Bauvorhabens in den landschaftlichen Kontext und das gewachsene Ortsbild des Högl unter Einbeziehung und Umnutzung des bestehenden Haupthauses der Reiter Alm. Um vorstehender Zielvorgabe gerecht zu werden, orientiert sich der geplante Neubau nach dem aktuellen Planungsstand bewusst am Gebäudebestand und berücksichtigt dabei ausdrücklich die Topographie.
Die Gestaltung der Fassade des Neubaus soll sich an der regionaltypischen Erscheinung von landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäuden orientieren. Die im Rupertiwinkel vorzufindende traditionelle Gliederung in gemauertes Sockelgeschoss und Holzfassade im Obergeschoss wird übernommen. Die Planung nimmt für sich in Anspruch, einen vor allem in der Fernwirkung ruhigen und zurückhaltenden ländlich geprägten Baukörper entstehen zu lassen, dessen First nicht höher sein darf als der First des Bestandsgebäudes (welches erhalten wird).
Bewertung von und Umgang mit den Auswirkungen der Baumaßnahme wären Gegenstand des weiteren Planungsverfahrens, das – gemäß der gesetzlichen Vorgaben – ergebnisoffen und unter Berücksichtigung und Abwägung aller relevanten städtebaulichen Belange betrieben würde.
  1. Bedarf an psychosomatischen Einrichtungen
Der Bedarf an medizinischer Versorgung psychosomatischer Krankheitsbilder steigt. Jährlich sind etwa 27,8 % aller Erwachsenen in Deutschland von psychischen Erkrankungen betroffen.15,4% haben eine Angsterkrankung. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland mit der Prävalenz psychischer Erkrankungen im Mittelfeld. Auf Basis vergleichbarer Angaben wird die 12-Monats-Prävalenz psychischer Erkrankungen in der Erwachsenenbevölkerung europaweit auf 27 % geschätzt. Die 12-Monats-Inzidenz liegt bei 11%. Nur 12-50% der Diagnosen werden tatsächlich behandelt – in Deutschland herrscht nach Angaben berufsständischer Interessenvertretungen der Psychotherapeuten eine Unterversorgung.
(Quelle: Report Psychotherapie2021, Deutsche PsychotherapeutenVereinigung e.V).
  1. Nutzen für das Gemeinwohl
Die Gemeinde könnte durch die Reha-Klinik in verschiedener Hinsicht profitieren. Neben dem Beitrag zur Schließung der Versorgungslücke in der Region schafft sie Arbeitsplätze und stärkt die lokale Wirtschaft. Als Bildungs- und Forschungseinrichtung trägt die Klinik zur Weiterentwicklung medizinischer Kenntnisse und Fähigkeiten bei. Patienten und ihre Angehörigen, die zur Rehabilitation kommen, nutzen auch lokale Tourismus- und Gastgewerbeangebote, was den Tourismus ankurbelt und zusätzliche Einnahmen für lokale Unternehmen generiert. Der Fokus der Reha-Klinik auf Regionalität kommt lokalen Unternehmen, Produzenten und Dienstleistern zugute.
In erster Linie würde aber vor allem erkrankten Menschen geholfen!


Entscheidungsgegenstand:
Rein rechtlich gesehen ist eine Abstimmung über den Bürgerantrag nicht zwingend vorgeschrieben, er muss lediglich „behandelt“ werden. Insofern wäre auch eine bloße Kenntnisnahme des Bürgerantrags durch den Gemeinderat denkbar.
Diskutiert und auch entschieden werden sollte aber aus Sicht der Verwaltung die Frage, ob der Gemeinderat nach wie vor durch ein - ergebnisoffenes - Verfahren aufgezeigt bekommen möchte, ob und ggf. wie das Vorhaben umgesetzt werden kann.

Beratung

Nach Ende des Sachvortrags gibt Erster Bürgermeister Martin Öttl eine Stellungnahme ab. GR Stefan Eberl teilt mit, dass der Aufstellungsbeschluss von den Freien Wählern einstimmig getroffen wurde. Es gab auch Zweifel, aber man wollte sich die Sache im Verfahren anschauen. Die Fraktion wird den Beschlussvorschlag folgen. GR Josef Ramstetter möchte endlich erfahren, wie der Ablauf bei einem Bürgerbegehren ist. Bauamtsleiter Thomas Fuchs erläutert, dass bei einem Ratsbegehren der Gemeinderat entscheidet, ob ein Ratsbegehren durchgeführt werden soll. Sollte dem zugestimmt werden, entfällt die das Unterschriftensammeln. Die Bürger werden zu einem bestimmten Termin zur Wahl aufgerufen. Es muss eine Frage an die Bürger gestellt werden, die mit ja oder nein zu beantworten ist. 20% der Wahlberechtigten müssen abstimmen, damit das Ergebnis gültig ist. Weiterhin möchte GR Josef Ramstetter, dass die Bürgerinitiative die Gelegenheit bekommt, in der Gemeindezeitung über ihre Sicht zu informieren. Erster Bürgermeister Martin ist für alles offen. Er kann sich Flyer vorstellen oder ein Bericht auf der Homepage oder eine Bereitstellung sämtlicher Unterlagen, so dass sich der Bürger eine eigene Meinung bilden kann. GR Dr. Friedhelm Schneider findet die direkte Demokratie gut, aber Meinungen anonym abgeben oder sachlich falsche Darstellungen einbringen, geht nicht. Informationen müssen richtig gegeben werden. Viele Informationen, die vielleicht viel wichtiger wären, waren nicht dabei, wie z.B. wie die Pflegekräfte im Winter bei Schnee zum Arbeitsplatz kommen oder wie Personal gefunden und gehalten werden kann. Was sagen die Verbände zu dem Projekt? Zweite Bürgermeisterin Rosemarie Bernauer findet den Beschlussvorschlag gut. Man muss sich der Sacharbeit widmen. Sie möchte wissen, wo nach einem positiven Ratsbegehren für das Projekt, weitergemacht wird. Es wird dann am jetzigen Punkt, die erste Auslegung, weitergemacht, so Bauamtsleiter Thomas Fuchs. GRin Edith Höglauer äußert sich, dass sie von Anfang an gegen das Projekt war und Probleme und Konflikte sieht. Um das Verfahren nicht in die Länge zu ziehen, ist sie für den Antrag. GR Sven Kluba findet den Vorschlag gut. Alle Fakten kommen auf den Tisch und die Bürger sind informiert. Die Gemeinde soll aber auch neutral berichten. Er spricht den Faktencheck in der Gemeindezeitung an und liefert Beispiele, z.B. das 50% der Betten in solchen Kliniken bereits in Bayern sind. Er möchte wissen, wer bei der Formulierung der Frage mit einbezogen wird. Ihm ist wichtig, dass die Vertreter des Antrags bei der Fragestellung beteiligt werden. Erster Bürgermeister Martin Öttl antwortet, dass die Frage einfach und klar formuliert sein muss und die Vertreter mitwirken können. Die Rechtsaufsicht wird mit einbezogen. Das ganze Verfahren soll transparent sein, so dass ein Vertreter der Initiative mitwirken kann. GR Wolfgang Hirner kann dem Vorschlag zustimmen. Vielen Argumenten dagegen kann er nichts abgewinnen. Allerdings bleibt wahrscheinlich bei einer Realisierung des Projektes der Bereich ein geschlossener Ort für die nächsten 40-50 Jahre. Der Bereich soll aber den Ainringern zur Verfügung stehen.    

Beschluss

a) Der Gemeinderat beschließt, dem Bürgerantrag vom 01.02.2024 zuzustimmen.

b) Der Gemeinderat beschließt, in einer der nächsten Sitzungsrunden das Ratsbegehren „Reha-Klinik Reiter Alm“ auf die Tagesordnung zu setzen und darüber zu beschließen.

Abstimmungsergebnis
Dafür: 3, Dagegen: 15

Datenstand vom 04.12.2024 12:25 Uhr