Vollzug der Bayerischen Bauordnung; Erlass einer Satzung über abweichende Maße der Abstandsflächentiefe


Daten angezeigt aus Sitzung:  Sitzung des Technischen Ausschusses, 12.01.2021

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.
Technischer Ausschuss Sitzung des Technischen Ausschusses 12.01.2021 ö beschließend 7

Sachverhalt

Zum 01.02.2021 soll der Gesetzentwurf der Bayerischen Staatsregierung zur Novelle der Bayerischen Bauordnung in Kraft treten. Ein wesentlicher Bestandteil der Novelle ist die Neufassung des Abstandsflächenrechts. Die Regelabstandsfläche soll künftig von 1,0 H auf 0,4 H, in Gewerbe- und Industriegebieten von 0,25 auf 0,2 H (H = Wandhöhe des jeweiligen Bauwerks) verkürzt werden, mindestens jedoch 3 Meter. Die Verkürzung soll für alle Gebäudeseiten gelten, so dass das sog. Schmalseitenprivileg (16m-Privileg; auf zwei Seiten konnte die Abstandfläche auf ½ H reduziert werden) entfällt. Dies führt – und das ist die politische Intention des Gesetzgebers – zu einem deutlichen Zusammenrücken der Baukörper (Nachverdichtung) in der zukünftigen baulichen Entwicklung.
Der Bayerische Städtetag und der Bayerische Gemeindetag haben sich in den vergangenen Monaten vehement gegen die Neufassung in der vorliegenden Form ausgesprochen. Der Wunsch nach geregelter und kontrollierter Nachverdichtung mit dem Ziel der Wohnraumbeschaffung ist zwar sinnvoll und nachvollziehbar, sollte aber mit mehr kommunaler Steuerungsmöglichkeit einhergehen. Deshalb hat man in intensiven Abstimmungsgesprächen mit dem Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bauen und Verkehr eine Möglichkeit eröffnet, für die Kommunen eine Satzung zu erlassen, mit der das frühere Abstandsflächenrecht wieder gilt, mit der Einschränkung, dass nur die Tiefe der Abstandsflächen abweichend geregelt werden kann. Von den neuen Berechnungs- und Anrechnungsregeln der Wandhöhe (H), z. B. die Anrechnung von Dach- und Giebelflächen kann nicht abgewichen werden.  Der Erlass dieser Satzung sollte jedenfalls vor dem 01.02.2021 geschehen, damit keine Regelungslücke entsteht. Durch eine nachgelagerte Satzung würde u. U. in bestehendes Baurecht eingegriffen, das möglicherweise Schadenersatzansprüche gegen die Stadt nach sich ziehen könnte.

Wesentliche Punkte der Änderungen im Abstandsflächenrecht sind:

  • Kernpunkt ist die grundsätzliche Änderung des Maßes der Abstandsflächentiefe
    0,4 H / 0,2 H (in Gewerbe- und Industriegebieten), mindestens 3 m

  • Berücksichtigung der Wand in ihrem Gesamtaufriss; d. h. die Abstandsfläche muss nicht mehr zwingend rechteckig sein. Künftig wird die gesamte Wand einschließlich der Giebelfläche in ihrer tatsächlichen Abmessung in der Berechnung berücksichtigt. Mittelungsberechnungen bei verschiedenen Dachformen entfallen.

  • Veränderte Berechnung der traufseitigen Wandhöhe:
    Höhe von Dächern ≤ 70°: Wandhöhe wird zu 1/3 zugerechnet
    Höhe von Dächern > 70°: der Wandhöhe voll zugerechnet

Der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München und die Kanzlei Döring/Spieß haben hierzu Beispiele veröffentlicht, wie sich das neue Abstandsflächenrecht (rote Flächen) im Vergleich zum alten Recht (grüne Flächen) verhält:


Beisp. Gebäude mit einer Wandhöhe von 7,2 m und 32° Dachneigung und 10 m Breite:

0,4 (7,20m + 1/3 3,2m) = 3,26 m Abstandsflächentiefe


Beisp. Schwesternwohnheim Kreisklinik an der Haggenmillerstraße (siehe TA-Sitzung vom 08.12.2020, TOP 1, öffentlich):

WH: 9,40 – Flachdach
0,4 H x 9,40 m = 3,76 m Abstandsfläche zu allen Seiten des Gebäudes


Beisp. Mehrfamilienwohnhaus Hohenlindner Straße (siehe TA-Sitzung vom 08.12.2020, TOP 3, öffentlich):

WH: 7,10 m
FH: 11,00 m
DH: 3,90 m
DN: 29,5°
0,4 (7,10m + 1/3 3,9 m) = 3,31 m Abstandsflächentiefe auf der Traufseite
Beisp. Mehrfamilienwohnhaus Hohenlindner Straße (siehe TA-Sitzung vom 08.12.2020, TOP 3, öffentlich):

WH: 7,10 m
FH: 11,00 m
DH: 3,90 m
DN: 29,5°
0,4 (7,10 + 3,90) = 4,4 m Abstandsfläche auf der Giebelseite

Nach geltendem Recht betragen die Abstandsflächen 7,10 m bzw. 3,55 m bei der Anwendung des 16 m-Privilegs.
Man kann also eine deutliche Reduzierung der Abstandsflächen und damit ein deutliches Zusammenrücken der Bebauung durch das neue Recht feststellen.

Mit der Inanspruchnahme der angedachten Satzungsregelung würden die Abstandsflächen in dem Beispielsfall wie folgt aussehen:

Regelabstandsfläche 1 H (unter Anwendung der neuen Berechnungsregeln):
Traufseite:        WH 7,10 m + 1/3 3,90 (DH) = 8,27 m (volle Abstandsfläche; bei ½ H = 4,14 m
Giebelseite:        WH 7,10 m + 3,90 m(DH) = 11 m (volle Abstandsfläche; bei ½ H = 5,5 m

Dies bedeutet in dem Beispielsfall eine Erhöhung der Abstandsflächen um ca. 16% an der Traufseite
 

Durch die Festlegung der Abstandsfläche durch städtische Satzung nach dem bisherigen Rechtsstand (1 H und 0,5H auf zwei Seiten – 16m-Privileg) können die neuen Berechnungs- und Anrechnungsregeln allerdings nicht ausgeschlossen werden, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass im Einzelfall auch größere Abstandsflächen als bisher anfallen.

Ausgehend von den Empfehlungen des Bayerischen Gemeindetages schlägt die Verwaltung den Erlass der folgenden Satzung vor:

Für den Satzungserlass ist gem. § 10 Ziff. 2 lit. a der Geschäftsordnung für den Stadtrat Ebersberg 2020 bis 2026 der Technische Ausschuss beschließend zuständig. Eines eigenen Stadtratsbeschlusses bedarf es somit nicht.

Begründung der Satzung:

Art. 81 Abs. 1 Nr. 6 lit. a BayBO eröffnet den Gemeinden die Möglichkeit, das Abstandsflächenrecht abweichend von der gesetzlichen Regelung zu gestalten, wenn dies die Erhaltung des Ortsbildes im Gemeindegebiet oder in Teilen des Gemeindegebietes bezweckt oder der Verbesserung und Erhaltung der Wohnqualität dient.

Nach der Rechtsprechung beschränkt sich die Regelungskompetenz des Bauordnungsrechts bei der abweichenden Bestimmung von Abstandsflächen auf im weiteren Sinne sicherheitsrechtliche Zielsetzungen. Abstandsflächen können zur Sicherstellung einer ausreichenden Belichtung, Belüftung und Besonnung der Baugrundstücke, zur Sicherstellung von Flächen für Nebenanlagen,  zur Herstellung des Wohnfriedens und Sicherstellung des Brandschutzes abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen geregelt werden. In Bezug auf das Ortsbild sind nur gebäudebezogene Regelungen zulässig, die sich unmittelbar auf die Gestaltung des Ortsbildes auswirken.
Vorstehende Satzung wird im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage maßgeblich zur Verbesserung und Erhaltung der Wohnqualität erlassen.
Im Gemeindegebiet sind nach wie vor viele Bereiche nicht überplant und beurteilen sich planungsrechtlich nach § 34 BauGB. Darüber hinaus sind in Bebauungsplänen zum Teil großzügige Bauräume festgelegt. In diesen Bereichen wird der Abstand von Baukörpern zueinander im Wesentlichen durch das Abstandsflächenrecht geregelt. Der hohe Siedlungsdruck im Stadtgebiet und die immer weiter steigenden Grundstückspreise werden daher dazu führen, dass die Mindestmaße der gesetzlich festgelegten Abstandsflächen weitestgehend ausgenutzt werden. Damit wird sich die Wohnqualität im Stadtgebiet nachteilig ändern. Eine deutliche Nachverdichtung wird nach Auffassung der Stadt auch nachteilige Auswirkungen auf den Wohnfrieden haben.
Die Wohnqualität im Stadtgebiet ist in vielen Bereichen durch größere Abstände zwischen den Gebäuden geprägt. Gerade in weiten Teilen des Stadtgebietes werden Wohnformen angeboten, die im städtischen bzw. baulich verdichteten Raum nicht bzw. nur noch selten anzutreffen sind. Das Wohnen ist geprägt durch Abstand zum Nachbarn. Freibereiche um die Gebäude stellen insoweit einen wesentlichen Bestandteil der Wohnqualität dar, insbesondere auch für Kinder. Die Bedeutung und Wichtigkeit von wohnortnahen Freiräumen hat sich gerade im vergangenen Jahr aufgrund der Auswirkungen der Pandemie gezeigt. Die Stadt möchte mit dieser Satzung die Wohnqualität, die durch größeren Abstand zwischen den Gebäuden geprägt ist, erhalten und gegebenenfalls im Rahmen der Neubebauung von Grundstücken verbessern. Dies führt auch zu einer Verbesserung von Belichtung und Belüftung und Besonnung der Baugrundstücke, gegebenenfalls auch zu einer Verbesserung des Brandschutzes.
Der Gesetzgeber hat mit der Neuregelung der Abstandsflächen in Art. 6 Abs. 5 BayBO die Untergrenze des zulässigen Gebäudebestandes festgelegt. Die Stadt möchte für ihr Gebiet höhere Standards als vom Gesetzgeber vorgesehen festlegen.

Gleichzeitig werden über größere Abstandsflächen auch notwendige Flächen für Nebenanlagen gesichert. Der Bedarf an Flächen für die Unterbringung von Gartengeräten, Spielgeräten für Kinder, von Fahrrädern und natürlich von KFZ ist größer als in der Stadt. Durch die Verlängerung der Abstandsflächen wird auch insoweit ausreichend Raum auf den Baugrundstücken gesichert.

Die Stadt bezieht in ihre Überlegungen durchaus ein, dass der Gesetzgeber mit der Abstandsflächenverkürzung eine Innenverdichtung und einer Verringerung der neuen Inanspruchnahme von Flächen beabsichtigt. Die Stadt hält aber die Erhaltung und Verbesserung der Wohnqualität in ihrem Gemeindegebiet für vorrangig. Das Ziel der Innenverdichtung kann auch durch ein höheres Maß baulicher Nutzung erreicht werden, etwas durch höhere Gebäude, welche die Abstandsflächen einhalten. Dies wird die Stadt in ihren Planungen berücksichtigen.

In Bezug auf den Geltungsbereich hat sich die Stadt dazu entschieden, die abweichenden Abstandsflächen im gesamten Stadtgebiet anzuordnen. Zwar gibt es im Stadtgebiet unterschiedliche Siedlungsstrukturen und Bauweisen. Die oben genannten Ziele sollen aber generell im Stadtgebiet verfolgt werden und damit auch Grundlage der Abstandsflächenbemessung sein. Im Einzelfall ist eine Korrektur über Abweichungen möglich. Für die sich insbesondere unterscheidenden Gewerbe-, Kern- und klassenurbanen Gebiete findet die Satzung ohnehin keine Anwendung.

Die Stadt ist sich auch bewusst, dass die Verlängerung der Abstandsflächen gegenüber der gleichzeitig in Kraft tretenden gesetzlichen Verkürzung derselben, Auswirkungen auf die bauliche Ausnutzbarkeit von Grundstücken haben kann und damit auch Eigentümerinteressen nachteilig betroffen werden können. Die Aufrechterhaltung einer ausreichenden Wohnqualität im Stadtgebiet rechtfertigt indes mögliche Eigentumsbeschränkungen.

Es wird seitens der Verwaltung darauf hingewiesen, dass eine gewisse Rechtsunsicherheit bestehen bleibt, da gegenwärtig nicht absehbar ist, wie die Rechtsprechung mit den erlassenen Satzungen der verschiedenen Gemeinden umgehen wird. Insbesondere bei einem etwaigen Satzungserlass nach dem 01.02.2020 ist auf eine besonders sorgfältige Satzungsbegründung zu achten, da dadurch mögliche  Baurechtseinschränkungen entstehen.          

Diskussionsverlauf

StR Otter begrüßte den Vortrag. Es sei eine Abwägung zwischen Nachverdichtung und Wohnqualität. In diesem Zusammenhang wies er auch auf die Möglichkeit von einfachen Bebauungsplänen zur Steuerung der Bauräume hin. Weiterhin wies er daraufhin, dass mit den neuen Recht auch auf Reihenhäusern mehr PV-Anlagen zulässig werden.
StR Schechner wollte wissen, ob es auch für Vordächer eine neue Regelung gibt.
Nach dem derzeitigen Kenntnisstand der Verwaltung ändert sich hier nichts. Vordächer bleiben weiterhin außer Betracht, solange sie als untergeordnete Bauteile einzuordnen sind.

Beschluss

Der Technische Ausschuss beschließt den Erlass folgender Satzung:

Satzung über abweichende Maße der Abstandflächentiefe
(Art. 81 Abs. 1 Nr. 6 lit. a BayBO)
vom….




§ 1 Geltungsbereich

Die Satzung gilt für das gesamte Gemeindegebiet


§ 2 Abstandsflächentiefe

Abweichend von Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO beträgt die Abstandsfläche im Gemeindegebiet außerhalb von Gewerbe-, Kern- und Industriegebieten, festgesetzten urbanen Gebieten 1 H, mindestens jedoch 3 m. Vor zwei Außenwänden von nicht mehr als 16 m Länge genügen in diesen Fällen 0,5 H, mindestens jedoch 3 m, wenn das Gebäude an mindestens zwei Außenwänden Satz 1 beachtet.



§ 3 Bebauungspläne

Abweichende, in Bebauungsplänen festgesetzte Abstandsflächen bleiben unberührt.



§ 4 Inkrafttreten

Die Satzung tritt am 01.02.2021 in Kraft.

Abstimmungsergebnis
Dafür: 11, Dagegen: 0

Datenstand vom 15.01.2021 11:54 Uhr