Gemeindliches Einvernehmen zum Antrag auf Vorbescheid für den Standort einer Windkraftanlage (WEA 1S) im Gebiet Lange Meile Süd


Daten angezeigt aus Sitzung:  Sitzung des Marktgemeinderates, 14.05.2024

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.Lfd. BV-Nr.
Marktgemeinderat (Markt Eggolsheim) Sitzung des Marktgemeinderates 14.05.2024 ö 7

Sachverhalt

Mit Datum vom 29.04.2024 hat der Markt Eggolsheim die Erteilung eines Vorbescheids nach § 9 BlmSchG für eine Windenergieanlage des Typs Enercon E-175/6 MW mit einer Nabenhöhe von 162 m im geplanten Windpark Lange Meile, Eggolsheim beantragt.

Vor Einreichung eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsantrags gemäߧ 4 BlmSchG 
(Vollantrag) sollen für dieses Vorhaben durch Vorbescheid die Zulässigkeit folgender Genehmigungsvoraussetzungen verbindlich festgestellt bzw. nachfolgende Genehmigungsfragen verbindlich beantwortet werden:

  • Schallimmissionen
  • Turbulenzintensität
  • einzuhaltende Abstandsflächen
  • zivile und/oder militärische luftrechtliche Belange

Alle weiteren Belange sollen im Rahmen dieses Vorbescheidantrages ausgeklammert bleiben.

Ziel dieses Vorbescheides ist es, vor der Einreichung eines vollständigen Genehmigungsantrages gemäß § 4 BlmSchG einzelne Genehmigungsvoraussetzungen vorab rechtsverbindlich klären zu lassen im Interesse weiterer Planungs- und Investitionssicherung für den Markt Eggolsheim als Antragsteller und Vorhabenträger. Durch die Bindungswirkung des Vorbescheids soll insbesondere das Investitionsrisiko verringert und das Genehmigungsverfahren insgesamt beschleunigt werden.

Das Vorhaben befindet sich nicht im Bereich eines rechtskräftigen Bebauungsplanes und auch nicht im unbeplanten Innenbereich. Somit richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 35 BauGB (Außenbereich). Im Außenbereich ist ein Vorhaben zulässig, wenn öffentliche Belange (§ 35 Abs. 3 BauGB) nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und es sich um ein sog. privilegiertes Vorhaben handelt (§ 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB).

Die Grundlagen für die Abwägungsentscheidung stellen sich wie folgt dar:

Antragsdaten:

Beantragt wird vom Antragsteller (Markt Eggolsheim) der Standortvorbescheid für die Errichtung einer WEA am Standort:

  • WEA 1S Lange Meile Süd, Fl.Nrn. 2334, 2335, 2337
  • Die Windenergieanlage hat eine Nennleistung von 6 MW, Nabenhöhe: 162 m, Rotordurchmesser: 175 m, Gesamthöhe: 249,50 m. Pro Anlage: 380 bis 530 m² Fundament und 1.536 m² Kranstellfläche.


Planungsrechtliche Situation:

Das Vorhaben liegt planungsrechtlich im Außenbereich gemäß § 35 BauGB.
Der Standort der angefragten WEA liegt außerhalb des vom Regionalen Planungsverband beschlossenen und in Aufstellung befindlichen Vorranggebiets für Windkraftanlagen 504 Lange Meile Süd I. Alleiniger Grund dafür ist der in den allgemeinen Kriterien festgelegte Abstand von 300m zu Hochspannungsleitungen. Die Abgrenzung von Vorranggebieten erfolgt nicht grundstücksscharf, sondern flächenscharf mit offenen Signaturen und einer damit verbundenen regionalplanerischen Unschärfe im Grenzbereich. Das heißt, dass in diesem Bereich im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung darüber entschieden wird, ob der Standort der geplanten Windenergieanlage dem Vorranggebiet zugerechnet werden kann.
Kann im Rahmen des Planungsprozesses ein geringerer Abstand zur dort verlaufenden 110 kV Leitung technisch realisiert werden, sind im Rahmen der regionalplanerischen Unschärfe auch im Randbereich des Vorranggebietes 504 Lange Meile Süd I Windkraftstandorte möglich. So die Rückmeldung von Seiten des Regionalen Planungsverbandes Oberfranken-West.

Standort:


Immissionen:

Zu berücksichtigende Orte im Wirkungsbereich der Anlage WEA 1S, Bebauungsart („WA“ = Allgemeines
Wohngebiet, „DM“ = Dorf- und Mischgebiet, „WR“ = Reines Wohngebiet), sowie der jeweils relevante
Immissionsrichtwert (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 1998):


Unter Berücksichtigung der technischen Eingangsdaten wurde eine Schallausbreitungsprognose für die von der WEA 1S ausgehenden Immissionen erstellt:



Nach derzeitigem Kenntnisstand ist an keinem der zu berücksichtigenden Orte eine Überschreitung des Immissionsrichtwertes durch WEA 1S zu erwarten. Dies wird auch in der Darstellung der zu erwartenden Schallausbreitung klar – die 34 dB(A)-Isophone liegt in deutlichem Abstand zu der geschlossenen Bebauung umliegender Ortschaften.

Die zu berücksichtigenden Orte liegen allerdings im Wirkungsbereich von WEA 1S. An diesen Orten wird der Immissionsrichtwert nach der Schallausbreitungsprognose möglicherweise nicht um mehr als 10 dB(A) unterschritten. Aufgrund ihrer möglichen Lage im Wirkungsbereich wurde eine genauere Betrachtung im Hinblick auf die jeweils zu erwartenden Schallleistungspegel durchgeführt. Die Berechnungen zur Immissionsprognose ergeben, dass an allen diesen Orten der jeweilige Immissionsrichtwert nach der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm eingehalten wird:


Abstandsflächen:

Der Markt Eggolsheim beantragt, für die Tiefe der einzuhaltenden Abstandsflächen i.S.d. Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO i.V.m. Art. 6 Abs. 1 BayBO eine Abweichung in Form einer Reduzierung auf den Rotorradius der WEA + e („e“ = Abstand Spitze des senkrecht nach oben stehenden Rotorblatts zur Turmmittelachse) zu zulassen. Bei den im konkreten Fall geplanten Windenergieanlagen des Typs Enercon E-175 EP5 bedeutet dies eine Reduzierung der Abstandsflächen auf 95,92 m (= 87,5 m + 8,42 m), statt der allgemein geltenden Abstandsregelungen gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO von 0,4 * Gesamthöhe + e = 0,4 * 249,5 m + 8,42 m = 108,22 m.

Begründung:

  1. Durch den, im Rahmen der Novellierung der Bayerischen Bauordnung im Jahr 2018 ergänzten Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO wird klargestellt, dass es bei der Entscheidung über eine Abweichung ausschließlich auf die in Art. 63 Abs. 1 BayBO genannten Voraussetzungen ankommt. Auf das Vorliegen eines atypischen Falles kommt es hingegen nicht mehr an. Gleichwohl stellen Windenergieanlagen in verschiedener Hinsicht keine typischen baulichen Anlagen im Sinne des Abstandsflächenrechts der Bayerischen Bauordnung dar. Sie sind im Verhältnis zu ihrer Gesamthöhe ausgesprochen schmal. Zudem ist der Rotor keine statische Anlage, weil er sich jeweils entsprechend mit der Windrichtung „mitdreht“.
Sinn und Zweck der Einhaltung von Abstandsflächen zu benachbarten Grundstücken ist die Gewährleistung ausreichender Belichtung, Besonnung und Belüftung dieser. Bei Windenergieanlagen wird eine Beeinträchtigung der schützenswerten Belange jedoch bereits durch die bauliche Konstruktion quasi ausgeschlossen.
Mangels (Wohn-)Bebauung in der unmittelbaren Umgebung von geplanten Anlagenstandorten läuft der Hauptzweck des Abstandsflächenrechts, nämlich die Sicherung von Freiflächen zwischen Gebäuden zur Gewährleistung einer ausreichenden Belichtung, Belüftung und Besonnung sowie des erforderlichen Wohnfriedens und Brandschutzes, im konkreten Projekt ins Leere. Gleiches gilt für die übrigen WEA des geplanten Windparks „Lange Meile“.
Die Verkürzung der Abstandsflächen auf den Rotorkreis (= Radius von 95,92 m um den Mastmittelpunkt der WEA) beschränkt die einzuhaltenden Abstandsflächen auf die von den baulichen Teilen der Windenergieanlagen überstrichenen Flächen und ist somit sachgerecht und ausreichend. Sie beeinträchtigt auch nicht die Nutzbarkeit und Ertragsfähigkeit der land- und forstwirtschaftlich genutzten Grundstücke in der Nachbarschaft.

  1. Mit Schreiben vom 01.03.2023 hat das Bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr ausdrücklich auf die Möglichkeit zur Reduzierung der Tiefe der Abstandsflächen bei der Errichtung von Windenergieanlagen gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO hingewiesen. Die Verwaltung wurde explizit angewiesen, den Willen des Gesetzgebers und die in der Rechtsprechung bereits seit Jahren anerkannte Vorgehensweise (vgl. beispielsweise VGH München, Beschluss vom 7. Oktober 2019, Az. 22 CS 19.1355) auch wirklich praktisch umzusetzen.
Demnach muss eine Vereinbarkeit der Abweichung, unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Satz 1 BayBO vereinbar sein. Als öffentliche Belange sind ausdrücklich auch die Belange der energiewirtschaftlichen Versorgungssicherheit sowie das überragende öffentliche Interesse am Ausbau der erneuerbaren Energien einzubeziehen.
Bei der Realisierung von Windenergieanlagen müssen die Grundstücke, die innerhalb der Ausdehnung der laut der Bayerischen Bauordnung einzuhaltenden Abstandsflächen liegen, privatrechtlich gesichert werden, d.h. der Vorhabenträger muss mit den entsprechenden Grundstückseigentümern einen langfristigen schuldrechtlichen Vertrag zur Freihaltung dieser Bereiche abschließen. Der Eingang der 0,4 – fachen Gesamthöhe der Anlagen in die Berechnungsformel der Abstandsflächen, würde vorliegend den Umkreis der zu sichernden Flurstücke um die Windenergieanlage um 12,3 m vergrößern, und somit die Anzahl der betroffenen, zustimmungspflichtigen Grundstückseigentümer erheblich erhöhen.
Die Sicherung der Windenergieanlagen im geplanten Windpark gestaltet sich ohnehin bereits schwierig aufgrund der deutlichen Einschränkungen bei der Auswahl der Flächen im Vorranggebiet. Fallen nun noch Flächen deshalb weg, weil einzelne Grundstückseigentümer nicht dazu bereit sind, ihre Flächen dem Vorhabenträger zur Freihaltung zur Verfügung zu stellen, kann die Vorrangfläche als Konzentrationsfläche für Windenergieanlagen nicht optimal genutzt werden, was den Zielen der Regionalplanung widerspricht und wiederum den Beitrag zur Erreichung der gesetzlich vorgegebenen Flächenziele konterkariert.

Durch die fehlende Zustimmung einzelner Grundstückseigentümer innerhalb des vergrößerten Abstandsbereiches um die geplanten WEA könnte somit das überragende öffentliche Interesse am Ausbau der Erneuerbaren Energien beeinträchtigt werden und damit die übergeordneten Ziele der Regionalplanung als auch der Bundesregierung verfehlt werden. Dies kann im Hinblick auf die zu bewältigende Energie- und Klimakrise nicht im Sinne der Allgemeinheit sein.

Beschluss

Der Markt Eggolsheim erteilt das gemeindliche Einvernehmen gem. § 36 BauGB für die im Sachverhalt beschriebene Windkraftanlage WEA 1S.

Abstimmungsergebnis
Dafür: 20, Dagegen: 0

Datenstand vom 16.05.2024 09:42 Uhr