Hintergrund und Problemlage
Die demografische Entwicklung führt im gesamten Landkreis und in der Gemeinde Egling a.d.Paar zu einer zunehmenden Überalterung. Damit einhergehend steigt der Unterstützungs- und Pflegebedarf in der Bevölkerung an. Gleichzeitig fehlt das Pflegepersonal, um die Bedarfe zu decken. Diese Lücke wird weder durch die Gewinnung neuer Pflegender (auch nicht aus dem Ausland), noch durch Steigerung der Ausbildungskapazitäten geschlossen werden können. Ebenso kann der Anteil der Angehörigenpflege (Versorgung alleine durch Angehörige oder gemeinsam mit einem Pflegedienst) auf Grund gestiegener beruflicher Mobilität und zunehmenden Singularisierungstendenzen nicht weiter ausgebaut werden. Dies bestätigen auch die aktuellen Ergebnisse des Monitorings Pflegepersonalbedarf Bayern II, welche im Frühjahr 2024 offiziell veröffentlicht wurden sowie der DAK-Pflegereport 2024.
Wir befinden uns folglich bereits heute in einem Notstand, der sich unmittelbar bei den Bürgerinnen und Bürgern auswirkt. Bei ambulanten Pflegediensten ist mit Wartezeiten zu rechnen, bis eine Versorgung möglich ist, eine schnelle Akutversorgung ist schon heute teilweise nicht mehr möglich – für Betroffene und Angehörige eine extrem belastende Situation. Im stationären Bereich stehen Betten aufgrund des Pflegepersonenmangels leer, während gleichzeitig Wartelisten vorliegen. D.h., dass Menschen mit Pflegebedarf teilweise in bis zu 100km entfernt gelegenen Pflegeheimen untergebracht werden müssen, wenn die Versorgung zuhause nicht mehr leistbar ist. Soziale Kontakte brechen damit weg und auch Besuche durch An- und Zugehörige sind nicht in der Intensität möglich, wie sie von den Beteiligten gewünscht wären.
Die Situation bringt aber auch die Anbieter in schwierige wirtschaftliche Verhältnisse. Im stationären Bereich ist es fraglich, wie lange – insbesondere private Träger – ein entsprechendes Defizit tragen können und wollen. Und auch bei anderen Anbietern sind die wirtschaftlichen Belastungsgrenzen irgendwann erreicht, wenn längerfristig keine Vollauslastung möglich ist. Bei den ambulanten Diensten ist die Situation vergleichbar: während die Betriebskosten kontinuierlich ansteigen, brechen Einnahmen aufgrund von fehlendem Pflegepersonal weg, zum Teil müssen ganze Touren eingestellt werden. In einer Umfrage im ersten Quartal 2023 äußerten mehrere ambulante Pflegedienste, dass die wirtschaftliche Existenz nicht mehr sichergestellt ist. Damit ist die Versorgung von Menschen mit Pflegebedarf nicht mehr sichergestellt!
Lösungsansatz
Um hier ansetzen zu können braucht es gute Konzepte und unterschiedliche Maßnahmen. Es kann als gesichert angesehen werden, dass die Versorgung künftig kleinräumig organisiert werden muss. Über die sogenannten sorgenden Gemeinschaften kann es gelingen, die Bürger/innen in einem Quartier zu mobilisieren und auf unterschiedlichen Qualifikationsniveaus und Stufen des Engagements aktiv einzubinden.
Mit dem Konzept der QuartierPflege des Vereins Gesellschaft für Gemeinsinn e.V. liegt der einzig bekannte Lösungsansatz vor, mit dem der Aufbau sorgender Gemeinschaften unterstützt und zudem in eine finanzierbare Struktur übertragen wird. Das Konzept wurde 2018 entwickelt und geprüft und befindet sich seit 2022 in der Pilotierung, weitere Pilotprojekte sind 2023 gestartet.
Im Kern handelt es sich hierbei um einen ambulanten Pflegedienst aus Nachbarinnen und Nachbarn sowie Angehörigen, die in Teilzeit oder Vollzeit angestellt sind und aus Mitteln der Pflegeversicherung (Pflegesachleistung ambulant) bezahlt werden. Professionelle ambulante Dienste bleiben weiterhin bestehen und können ihre Personalkapazitäten für die Tätigkeiten einsetzen, die besondere Fachkenntnisse erfordern (z.B. komplexe Grundpflege oder Maßnahmen der Behandlungspflege). Als Ziel soll ein Netzwerk aus drei bis sechs festen Nachbarinnen/Nachbarn pro Fall entstehen, wodurch die Angehörigen und Menschen mit Pflege-/Unterstützungsbedarf entlastet werden. Die Nachbarinnen/Nachbarn werden dabei durch hauptamtliches Personal koordiniert (sogenannte Fallmanager), professionelle Pflegende werden dort hinzugezogen, wo es nötig ist.
Für den Erfolg der Umsetzung ist der kleinräumige Bezug bedeutsam. Ein intimer Quartiersbezug mit ca. 1.500 Bewohnerinnen und Bewohnern schafft Vertrauen und ermöglicht den Aufbau strategischer Kooperationen im Quartier (ambulante Pflegedienste, Apotheker, Ärzte, Nachbarschaftshilfe, …). Ebenso besteht ein erprobtes modulares Schulungskonzept, über das eine tätigkeitsbezogene Qualifizierung möglich ist (z.B. Einkaufshilfe, Betreuungsleistung, einfache grundpflegerische Versorgung).
Die Leistungen werden über die bestehenden Leistungskomplexe der Pflegeversicherung abgerechnet, wodurch die Gehälter der Nachbarinnen und Nachbarn sowie des Fallmanagements finanziert werden. Gleichzeitig können Kosten reduziert werden, da lange Wege entfallen und ein Fuhrpark weitestgehend nicht notwendig ist.
Finanzielle Auswirkungen
Die Kosten der Projektsteuerung, die durch die Gesellschaft für Gemeinsinn e.V. erfolgt, werden vom Landkreis getragen (bis zu 50.000 Euro pro Jahr für die Zeit von 2024 bis 2028). Zusätzlich übernimmt der Landkreis Kosten für das Fundraising (bis zu 40.000 Euro einmalig im Jahr 2024), um möglichst vielen Gemeinden die Teilnahme am Projekt zu ermöglichen und die Kosten zu reduzieren.
Für die Gemeinde Egling a.d.Paar könnten folgende Personal- und Sachkosten anfallen:
- Personalkosten für das Fallmanagement in Abhängigkeit vom Stundenumfang, Qualifikation und Eingruppierung (z.B. 0,5 VZÄ in E10 = ca. 35.000 Euro Arbeitgeberaufwand pro Jahr)
- Der Stellenumfang muss mit der Projektlaufzeit erhöht werden: mit zunehmendem Ausbau der Strukturen ist mit mehr Fällen zu rechnen, wodurch der Koordinationsaufwand zunimmt. Während im ersten Jahr – abhängig von der personellen Lösung – ggf. ein Stundenkontingent von 10 bis maximal 20 Wochenstunden als ausreichend beurteilt werden kann, werden im letzten Jahr 30 - 35 Wochenstunden erforderlich sein
- Sachkosten für Öffentlichkeitsarbeit sowie Projektkosten (Sachmittel und Reisekosten der Gesellschaft für Gemeinsinn e.V.) in Höhe von 10.000 Euro im ersten Jahr und bis zu 15.000 Euro in den Folgejahren
Durch die Akquise von Fördermitteln können die tatsächlich einzusetzenden Eigenmittel reduziert werden, womit in der Anfangsphase ein Eigenanteil von bis zu 30 % verbleiben würde. Nach fünf Jahren soll sich das Vorhaben aus Mitteln der Pflegeversicherung tragen.
Fazit
QuartierPflege leistet einen Beitrag zur Sicherstellung der kommunalen pflegerischen Grundversorgung in Zeiten eines bestehenden Notstandes. Die Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern wird durch den kleinräumigen Bezug, die Begleitung durch das professionelle Fallmanagement sowie die Entlohnung der Tätigkeiten gewährleistet. Gleichzeitig ermöglicht das Konzept Teilhabechancen und erhöht das Einkommen im Quartier. Nach einer Anlaufphase von drei bis fünf Jahren trägt sich das Konzept von selbst, d.h. die Personalkosten werden aus Mitteln der Pflegeversicherung refinanziert. Somit kann ein aktiver Beitrag zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung geleistet werden, ohne, dass ein nennenswerter finanzieller Mehraufwand für die Kommune entsteht.