Präambel:
Das Thema Energiewende durch erneuerbare Energien zur Reduzierung von klimaschädlichen Stoffen wie CO2 ist eine umfassende und komplexe Materie in einem sehr dynamischen Prozess. Es bedarf neben der EU- auch auf nationaler Ebene einer klaren Rahmengebung durch verlässliche landes- und bundespolitische Vorgaben für die Planung und Realisierung der Anlagen und Infrastruktur vor Ort. Durch die aktuelle Regierungslage im Bund sind jedoch eine Reihe energiepolitischer Gesetzesvorhaben gestoppt worden; eine Neuausrichtung der Energiepolitik speziell auf Bundesebene kann ab 2025 nicht ausgeschlossen werden und bleibt abzuwarten. Vorliegendes Standortkonzept zeigt das Potential erneuerbarer Energien im Gemeindegebiet Gilching unter den aktuell gegebenen Bedingungen und Vorgaben.
1. Der Gemeinderat hat in seiner Sitzung vom 20.11.2007 den Beschluss gefasst, dem „Klima-Bündnis der europäischen Städte mit indigenen Völkern der Regenwälder | Alianza del Clima e.V.“ beizutreten. Die Bündnis-Mitglieder verpflichten sich zu einer kontinuierlichen Verminderung ihrer Treibhausgasemissionen. Mit der Charta der Klima-Bündnis-Mitglieder streben sie CO2-Emissionensreduktionen von mindestens 95% bis 2050 gegenüber 1990 an.
2. In Umsetzung dieses Ziels hat die Gemeinde bereits im November 2021 den Flächennutzungsplan (FNP) zum siebten Mal geändert und im Bereich Geisenbrunn an der südöstlichen Gemeindegrenze nördlich und südlich der BAB 96 Flächen in erheblichem Umfang (ca. 56,8 ha) als Sondergebiet (SO) für Freiflächen-Photovoltaikanlagen (FFPV-Anlagen) dargestellt und im Süden auf ca. 17,3 ha bereits realisiert. Der 200 m-Korridor entlang beidseitig der Autobahn als entwickelbare Fläche war das Ergebnis der seinerzeit bereits durchgeführten, orientierenden Standortuntersuchung.
3. Nachdem der Gemeinde aktuell weitere Anfragen privater Grundeigentümer für FFPV-Anlagen (über das Gemeindegebiet verteilt und außerhalb der ausgewiesenen SO-Flächen) vorliegen, fasste der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 21.11.2023 den Beschluss, den FNP hinsichtlich der SO-Flächen FFPV-Anlagen zu überarbeiten. Demgemäß wurde der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München damit beauftragt, auf Grundlage der aktuellen Gesetzgebung, der geltenden landes- und regionalplanerischen Ziele unter Berücksichtigung von naturschutzfachlichen, städtebaulichen und landschaftsplanerischen Belangen ein Standortkonzept für FFPV-Anlagen zu erarbeiten.
Ziel des Konzeptes ist die Steuerung von FFPV-Anlagen als ein Baustein der erneuerbaren Energien auf städtebaulich hierfür geeigneten Flächen unter der Maßgabe, den künftig absehbaren Gesamtstrombedarf der Gemeinde Gilching ausschließlich durch erneuerbare Energie zu decken. Es soll sowohl für den Gemeinderat als auch die Verwaltung eine verlässliche Entscheidungshilfe bei künftigen FFPV-Standortentscheidungen sein und insoweit auch Selbstbindung entfalten.
4. Das Standortkonzept besteht aus folgenden Teilen:
- Textteil (33 Seiten)
- Karte 1: Ausschlussflächen
- Karte 2: Restriktionsflächen
- Karte 3: Darstellung von geeigneten, eingeschränkt geeigneten und grundsätzlich nicht geeigneten Standorten
und wird in der Gemeinderatssitzung durch die Planfertigerin des Planungsverbandes, Frau Kneucker, und die Verwaltung ausführlich vorgestellt werden. Das Konzept wurde ohne gemeindliche Standortvorgabe o.ä. ergebnisoffen erstellt; die o.g. orientierende Standortuntersuchung aus der 7. Teiländerung des FNP wurde bewusst nicht zugrunde gelegt, um eine objektive Ausarbeitung zu gewährleisten. Bei der Bestandsanalyse (z.B. bestehende FFPV-Anlage in Geisenbrunn) erfolgte bedarfsweise Zuarbeit durch die Gemeindeverwaltung.
5. Im Textteil sind die Hintergründe für das Konzept in seiner zum Beschluss vorliegenden Fassung detailliert zusammengestellt. Nachfolgend werden die entscheidenden Aspekte in Kurzfassung wiedergegeben:
5.1 Die Mitte 2022 ans Netz der Bayernwerk Netz GmbH angeschlossene FFPV-Anlage südlich von Geisenbrunn weist eine Modulleistung von 16,2 MWp auf. Die Gemeinde erfüllt damit bereits heute vollumfänglich zum einen den auf die Gemeinde Gilching entfallenden Anteil der bundespolitischen Ausbauvorgabe bis 2030 und zum anderen auch davon abweichende Schätzungen von Solarverbänden für die vollständige Umsetzung der Energiewende bis 2030.
5.2 Gesetzlich normierte Privilegierungstatbestände für FFPV-Anlagen (auch als Agri-PV-Anlagen) haben im Sinne eines zügigen Ausbaus der erneuerbaren Energien Vorrang vor gemeindlicher Bauleitplanung. Es ist insoweit in privilegierte und planungsbedürftige FFPV-Anlagen zu unterscheiden.
5.3 FFPV-Anlagen als flächenintensive, landschaftsfremde Objekte im Außenbereich führen regelmäßig zu einer Beeinträchtigung des Landschaftsbildes, was soweit wie möglich zu vermeiden bzw. zu minimieren ist. Planungsbedürftige FFPV-Anlagen sind daher erst ab einer Größe von 1 ha (Summe der Grundfläche aller Anlagenteile inkl. Speicher) zugelassen und auf geeignete, gut erschlossene und vor allem vorbelastete Standorte zu konzentrieren, vorzugsweise entlang der BAB 96. Bei planungsbedürftiger FFPV-Anlagen mit senkrechter Modulausrichtung wie Agri- oder auch Floating-PV kann von der Mindestflächenvorgabe 1 ha abgewichen werden.
5.4 Planungsbedürftige FFPV-Anlagen auf landwirtschaftlichen Böden mit einer Bonität >51 (= Landkreisdurchschnitt) sollen als Agri-PV-Anlagen ausgestaltet werden. Agri-PV-Anlagen sind Anlagen in der freien Landschaft, bei denen die Flächen unter bzw. zwischen den Modulen weiterhin zusätzlich landwirtschaftlich genutzt werden. Dabei muss sichergestellt sein, dass der Ertrag der Kulturpflanze(n) auf der Gesamt-projektfläche nach dem Bau der Agri-PV-Anlage mindestens 66% des Referenzertrages beträgt.
5.5 Zu schutzbedürftigen Bereichen haben planungsbedürftige FFPV-Anlagen Mindestabstandsflächen wie folgt einzuhalten: zu Wohnbebauung 100 m, zu Waldrand 50 m. Im Falle von privilegierten Agri-PV-Anlagen kann von den Mindestabstandsflächenvorgaben abgewichen werden.
5.6 Gemäß den aktuellen Energiedaten für Gilching ist für das Kalenderjahr 2023 von einem gemeindlichen Gesamtstromverbrauch von ca. 69,4 GWh auszugehen. Davon wurden 33,8% (ca. 23,4 GWh) aus erneuerbaren Energien vor Ort gewonnen (bislang ausschließlich aus PV-Nutzung inkl. der FFPV-Bestandsanlage in Geisenbrunn). Neben PV-Anlagen bietet sich in Gilching auch die Windkraftnutzung an. Die Gesamtjahresleistung der drei an den Gemeindegrenzen zu Alling und Schöngeising geplanten Windenergieanlagen (WEA) von ca. 33 GWh (konservativer Rechenansatz) hinzugerechnet, ergäbe eine rechnerische Abdeckung von ca. 81,3% des Gilchinger Jahresstromverbrauchs in 2023. Die danach verbleibenden 18,7% für eine Vollabdeckung durch erneuerbare Energien können durch einen weiteren Zubau von FFPV-Anlagen geschlossen werden.
Bei regelmäßig verbauten bifazialen Modulen, deren Leistung um 20 – 30% höher als bei monofazialen liegt, läge der Zubaubedarf bei ca. 9,75 ha FFPV-Fläche für eine rechnerische Jahresvollabdeckung 2023. Können 50% der Leistung an und auf Gebäuden oder im Zusammenhang mit anderen bereits versiegelten Flächen durch PV installiert werden, reduziert sich der Wert auf knapp 5 ha.
Diesem Restbedarfswert von ca. 5 ha gegenüber steht ein Ausbaupotential von 70 ha allein entlang der Autobahn: 39,5 ha noch nicht umgesetzte FFPV-Fläche bei Geisenbrunn (SO im FNP, jetzt privilegiert) und 30,5 ha darüber hinausgehend ermitteltes Ausbaupotential (in Karte 3 violett hervorgehoben, teilweise außerhalb des privilegierten 200 m-Korridors).
5.7 Bei der bestehenden FFPV-Anlage südlich der Autobahn bei Geisenbrunn wurde ein Beteiligungsmodell erstellt, an dem die Gemeindewerke Gilching zu 30% beteiligt sind. Bei planungsbedürftigen FFPV-Anlagen hat auch zukünftig eine Partizipation der Öffentlichkeit (Bürger und/oder Gemeinde) i.H.v. mindestens 30% stattzufinden.
5.8 Die im Umspannwerk Argelsried derzeit verbauten Trafos können ca. 36 MW Strom einspeisen. Im Einzugsbereich der Bayernwerke Netz GmbH waren 2023 nach deren Angabe 25,02 MWp Solarleistung (743 abgerechnete PV-Anlagen) installiert, die bei einer angenommenen gleichzeitigen Volleinspeisung demnach bereits ca. 69,5% der Trafokapazität ausfüllen. Der nächste Ausbauschritt würde zu einer Einspeisemöglichkeit von 72 MW führen, was aber ggf. eine Ertüchtigung der Hochspannungsleitung nach sich zöge. Der aktuelle Netzausbauplan sieht jedoch für die nächsten 5 Jahre keinen Ausbau oder Tausch der Trafos vor, was beim Zubau von FFPV-Anlagen in relevanter Größenordnung zu berücksichtigen ist.
6. Die Flächenpotentialermittlung des Standortkonzeptes basiert u.a. auf bundes- und landesrechtlichen Vorgaben sowie städtebaulichen Erwägungen, nicht vorbelastete Standorte von einem baulichen Eingriff freizuhalten. Vorgaben zur zeitlichen Umsetzung sind durch die Gemeinde nicht möglich, sofern sie nicht Flächeneigentümerin ist. Für künftige FFPV-Anlagen kann auf die Erfahrungswerte der Bestandsanlage in Geisenbrunn zurückgegriffen werden, die ertragreich ist, in 2023 aber ca. 30 Mal abgeregelt wurde. Die Abregelungen durch den Direktvermarkter erfolgten aufgrund negativer Strompreise und verursachten Einspeiseverluste i.H.v. ca. 812.000 kWh; die Abregelungen durch den Netzbetreiber erfolgten aufgrund Redispatch (fehlende Leitungskapazität) und verursachten Einspeiseverluste i.H.v. 7.000 kWh. Die Abregelungsmenge entspricht ca. 4,8% der eingespeisten Menge. In 2024 liegt die Abregelungsmenge aktuell bereits bei ca. 1,8 Mio. kWh, d.h. die Tendenz der Einspeiseverluste ist deutlich steigend.
Allein der Betrieb der ersten großflächigen FFPV-Anlage im Gilchinger Netzverbund zeigt bereits die Grenzen der Netzinfrastruktur und die besonders zu den Mittagsstunden und Wochenenden öfter gegebene Unwirtschaftlichkeit aufgrund niedriger/keiner Einspeisevergütung auf. Das unter Ziffer 5.6 ermittelte zusätzliche Ausbaupotential beträgt allein entlang der Autobahn 70 ha und mithin das Vierfache der Bestandsfläche von 17,3 ha. Diese großteils privilegierte Fläche so zu realisieren, dass sie nur sukzessive mit dem Ausbau der Infrastruktur und der Stromnachfrage mitwächst, um großflächige Anlagenabschaltungen zu vermeiden, wird eine große Herausforderung der nächsten Jahre werden, da es in Gilching keinen industriellen Großabnehmer oder großvolumige Speicher als Alternative gibt.
7. Vor diesem Gesamthintergrund ist der FFPV-Anlagen-Ausbau wie folgt zu priorisieren:
Stufe 1: Ausbau des privilegierten 200 m-Korridors beidseits der Autobahn (nicht planungsbedürftig)
danach
Stufe 2: Ausbau der außerhalb des 200 m-Korridors beidseits der Autobahn gelegenen, in Karte 3 violett dargestellten Flächen (planungsbedürftig)
danach
Stufe 3: Ausbau von Flächen außerhalb der Stufen 1 und 2 (planungsbedürftig).
Ausnahmen von dieser Priorisierung sollen nur in atypischen, standortgebundenen Ausnahmefällen (z.B. planungsbedürftige Floating-PV-Anlagen) zugelassen werden.
Per se privilegierte FFPV-Anlagen in Form von mitgezogener Nutzung (z.B. PV beim Trinkwasserhochbehälter oder Floating-PV im Jais-Weiher) bleiben davon unberührt.
8. Unter Berücksichtigung, dass zum einen die derzeitige bundespolitische Vorgabe auf das Ausbauziel 2030 abstellt und zum anderen auch der nächste Ausbauschritt für das Umspannwerk Argelsried durch den Netzbetreiber frühestens in fünf Jahren erfolgt, wird dem Gemeinderat vorgeschlagen, das vorliegende Standortkonzept mit diesem Inhalt zu beschließen und in fünf Jahren eine Evaluierung hierzu durchzuführen.
Zu diesem Zeitpunkt kann dann ermittelt werden, ob die Ausbauziele der Bundesregierung erreicht wurden, ob es neue Vorgaben gibt, ob die Maßnahmen für die Energiewende ausreichen, wie weit die Entwicklung von Sonderformen wie Agri- und Floating-PV ist und ob mittlerweile andere Rahmenbedingungen hinsichtlich der technischen Voraussetzungen (Einspeisepunkte, freie Netz- und Speicherkapazitäten) gegeben sind.
Es ist nochmals zu betonen, dass es bei vorliegendem Konzept nicht um eine Deckelung der Ausbaukapazitäten, sondern um eine geordnete Entwicklung der erneuerbaren Energien unter Wahrung des Ortsbildes geht.