Schadstoffmessungen in der Gemeinde Grünwald; Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 31.01.2019;


Daten angezeigt aus Sitzung:  Sitzung des Gemeinderates, 23.07.2019

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.
Gemeinderat (Gemeinde Grünwald) Sitzung des Gemeinderates 23.07.2019 ö 7

Sachverhalt

Das Bayerische Landesamt für Umweltschutz (LfU) hat das Ingenieurbüro Müller-BBM mit der Durchführung von Immissionsberechnungen im Landkreis München beauftragt. Die Ermittlungen wurden nach einem Vorauswahlverfahren des Bayerischen Landesamtes für Umwelt nur in denjenigen Bereichen durchgeführt, die aufgrund der Verkehrsstärke und der Struktur der Randbebauung relevante Schadstoffbelastungen erwarten ließen. In Grünwald war dies ausschließlich nur für die Oberhachinger Straße zwischen Josef-Würth und Josef-Sammer-Straße aufgrund der Verkehrsstärke und der Struktur der Randbebauung erwarten worden. Insgesamt wurde im Landkreis München für 57 ausgewählten Straßenabschnitten eine rechnerische Ermittlung der Belastung der Anlieger mit den Luftschadstoffen NO2, PM10 und PM2,5 durchgeführt. Neben den straßenbedingten Immissionen wurden auch die an repräsentativen Messstellen des luftverkehrshygienischen Überwachungssystems Bayern (LÜB) ermittelte Hintergrundbelastung (vorstädtisch bzw. ländlich-regional) berücksichtigt. Andere Schadstoffe (z.B. Schwermetalle) treten nach den Ergebnissen der landesweiten Messungen auch bei ungünstigen Verhältnissen nicht in Konzentrationen auf, die Grenzwertüberschreitungen befürchten lassen und wurden deshalb nicht untersucht.

Die aktuellen Immissionsgrenzwerte der „Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissions-höchstmengen – 39.BImSchV“ zum Schutz der menschlichen Gesundheit für die untersuchten Luftschadstoffe lauten:

  • NO2, Stickstoffdioxid                40 µg/m³ (Jahresmittelwert) (seit 01.01.2010)
200 µg/m³ (Stundenmittelwert)
in Verbindung mit 18 zulässigen Überschreitungen

  • PM10, Schwebstaub                40 µg/m³ (Jahresmittelwert) (seit 01.01.2005)
    Bei Unterschreitung eines Jahresmittelwertes von 30 µg/m³ an PM10 ist zu erwarten, dass der Grenzwert für den Tagesmittelwert von 50 µg/m³ (in Verbindung mit den zulässigen 35 Überschreitungen des Grenzwertes pro Kalenderjahr) ebenfalls nicht überschritten wird.

  • PM2,5, Partikel ultrafein                25 µg/m³ (Jahresmittelwert) (seit 01.01.2015)

Grenzwertüberschreitungen konnten für keinen der untersuchten Luftschadstoffe an den 57 betrachteten Beurteilungsorten festgestellt werden. Jedoch wurde für die Oberhachinger Straße zwischen Josef-Würth-Straße und Josef-Sammer-Straße in Grünwald und für zwei weitere Beurteilungsorte im LK München, der seit dem 01.01.2010 gültige Grenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) von 40 μg/m³ im Jahresmittel erreicht.

Die Berechnungen von Müller-BBM wurden nach einem sogenannten Screening-Verfahren durchgeführt, um auf Basis konservativer Eingabedaten Hot-Spots der Belastung durch Luftschadstoffe mit Grenzwertüberschreitungen zu identifizieren. So wurde für den Betrachtungsort Oberhachinger Straße das Berechnungsverfahren IMMIS angewendet. Für dieses Verfahren kamen die aktuellsten, bis heute gültigen Emissionsfaktoren nach HBEFA 3.3 zum Einsatz, welche aus dem Jahr 2017 stammen und bereits die Ergebnisse messtechnischer Ermittlungen der Kfz-Emissionen im realen Fahrbetrieb berücksichtigen.

Um ein wort-case Szenario zu erhalten wurde beispielweise für die Berechnung die geringe Windgeschwindigkeiten von 1,9 m/s aus dem Windrosenkartendienst des Bayerischen Behördennetzes herangezogen, deren Daten auf synthetische Windrosen beruhen und nicht der Wert von 3,0 m/s aus dem bayerischen Windatlas sowie ein DTV von 18.700 Kfz/24h vom Kreuzungsbereich Oberhachinger Straße/Marktplatz für die ganze Oberhachinger Straße angesetzt.

Laut Dr. Bösinger von Müller BBM wäre für die Oberhachinger Straße eine tatsächliche Überschreitung des Immissionsgrenzwertes der 39.BImSchV von 40 µg/m³ (Jahresmittelwert) für Stickstoffdioxid selbst im Bereich mit der dichtesten Randbebauung westlich der Einmündung Josef-Sammer-Str. und Sudetenstraße nicht zu erwarten, da das Screening auch unter Annahme ungünstigster Bedingungen keine Überschreitung ergab. Würde man den Berechnungen die niedrigeren Verkehrsmengen aus Baysis und die höhere Windgeschwindigkeit aus dem Bayernatlas zu Grunde legen, so wären Stickstoffdioxid-Konzentrationen deutlich unter 40 µg/m³ zu erwarten.

Auf Höhe des Gymnasiums ist aufgrund der dort vorhandenen, offenen Randbebauung von noch niedrigeren Werten auszugehen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der zum Schutz der menschlichen Gesundheit festgelegte Grenzwert der 39.BImSchV für Stickstoffdioxidimmissionen von 40 µg/m³ in diesem Bereich auch nur annähernd erreicht werden könnte.

Deshalb kann laut Expertenmeinung (Dr. Bösinger von Müller BBM, Dr. Pritz/LfU sowie Dr. Ostermair/LfU) und Landratsamt München davon ausgegangen werden, dass bei einem NO2-Jahresmittelwert von 40 μg/m³ und weniger der Grenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) von 200 μg/m³ im Stundenmittel (in Verbindung mit 18 zulässigen Überschreitungen) nicht überschritten wird. Tatsächlich wird durch die Erneuerung der Kfz-Flotte bereits im Kalenderjahr 2019 mit einer niedrigeren Immissionskonzentration zu rechnen sein.

Das LfU als bayernweit zuständige Behörde für Überwachungsmessungen und auch das Landratsamt München sehen deshalb keine Veranlassung, die in der rechnerischen Prognose für Grünwald ermittelten Werte über eine messtechnische Ermittlung zu verifizieren, da eine Grenzwertüberschreitung aufgrund der konservativen Eingabedaten ausgeschlossen werden kann.

Des Weiteren hat im Bereich der Oberhachinger Straße die gemeinnützige Baugenossenschaft eine Baugenehmigung zum Abriss- und Neubau von Mehrfamilienhäusern eingereicht und genehmigt bekommen. Diese Bauarbeiten sind ab Herbst 2020 angedacht. Da sich bezüglich diesen Bauarbeiten die gesamte Bebauung und somit Schadstoffbelastung an der Oberhachinger Straße grundlegend ändert, sollte abgewartet werden, wie sich die bauliche Situation an der Oberhachinger Straße entwickelt. Um ein gerichtsverwertbares Ergebnis zu erhalten, müsste grundsätzlich die Messmethode vom 01. Januar bis 31. Dezember durchgeführt werden.

Messmethoden:
a) Gemäß Anlage 6 der 39. BImSchV ist die kontinuierliche Bestimmung der NO2-Konzentration mittels Chemilumineszenzmessgerät die sogenannte Referenzmethode. Mit dieser Messmethode kann sowohl der Stunden- als auch der Jahresgrenzwert überwacht werden. Bei automatischen Messungen gelangt frische Außenluft über einen Ansaugstutzen und Schläuche in ein Messgerät, das automatisch an Ort und Stelle die Schadstoffkonzentrationen bestimmt. Da die zeitliche Auflösung hierbei sehr hoch ist, können auch Spitzenwerte genau erfasst werden. Solche Messstationen mit automatischen Messungen diverser Schadstoffe benötigen einen recht großen Aufstellplatz.

b) Alternativ gibt es die Möglichkeit, die NO2-Konzentration mittels kostengünstiger Passivsammler zu bestimmen. Die DIN EN 16339 gilt für Stickoxidmessungen mit der Passivsammeltechnik. Diese Messmethode ist als orientierende Messung gemäß 39. BImSchV definiert. Orientierende Messungen erfüllen dabei weniger strenge Datenqualitätsziele als ortsfeste Referenzmessungen, die Messunsicherheit ist entsprechend höher. Mit dieser Messmethode wird der Immissionsjahresgrenzwert der TA Luft bzw. der 39. BImSchV überwacht. Durch Messungen mit Passivsammlern kann lediglich gesagt werden, wie hoch die Belastungen im Mittel über einen bestimmten Zeitraum war. Spitzenwerte (wie etwa bei einem Verkehrsstau) oder Tiefstwerte (wie etwa während eines Sturms) fließen dann in die mittlere Belastung ein. Die Methode bietet sich an, weitere Messpunkte im Untersuchungsgebiet zu beproben. Bei DIN-gerechten Messungen liegt die Fehlertoleranz unter 15 %; somit sind die Messwerte gerichtsverwertbar. Passivsammler werden im Abstand von 14 Tagen analysiert und können an einer Hauswand oder Lichtmasten angebracht werden. Sie haben den Vorteil, dass sie netzunabhängig sind und somit auch an abgelegenen Orten oder an Standorten, wo für Messcontainer nicht ausreichend Platz ist, wie beispielsweise in engen Straßenschluchten, eingesetzt werden können.

In Bayern gibt es nur zwei zugelassene Messstelle für Immissionsmessungen. Dies sind das Ingenieurbüro Müller-BBM GmbH in Planegg und die InfraServ GmbH & Co. Gendorf KG in Burgkirchen. Die 39. BImSchV gibt vor, dass die Messungen innerhalb eines Jahres (1. Januar bis 31. Dezember) durchgeführt werden müssen, auch damit die Ergebnisse gerichtsverwertbar und mit Prognoseberechnungen vergleichbar sind. Somit könnte man mit einer Jahres-Messung erst am 1. Januar starten. Die höchsten Schadstoffkonzentrationen sind in den Monaten Januar bis März zu erwarten, die niedrigsten im Sommer.

InfraServ GmbH & Co. Gensdorf KG gab für ein 12-monatiges Basismessprogramm (1 Messstation NO2, 5 Messpunkte (NO2-Passivsammler)) eine unverbindliche Kostenschätzung von 39.500 € zzgl. MwSt. an. Je zusätzlichen Messpunkt (NO2-Passivsammler) fallen weitere 6.400 € an.

Von den Fachleuten der Firmen werden jedoch Messungen für Grünwald nicht als erforderlich angesehen, da das Screening-Verfahren auch am Hot Spot der Oberhachinger Straße unter Annahme ungünstigster Bedingungen keine Jahresgrenzwertüberschreitung ergab. Messungen an anderen stark befahrenen Straßen in Grünwald werden zudem noch geringere NOx-Jahresmittelwerte ergeben.

c) Umweltsensoren
Mittels Umweltsensoren, z. B. angebracht an Lichtmasten, ist es möglich diverse Schadstoffe wie Ozon, Feinstaub (PM10 und PM 2,5) und Stickoxide gleichzeitig zu erfassen. Das Münchner Start-up Unternehmen Hawa Dawa bietet sowohl die Hardware als auch die Software dazu an. Es handelt sich jedoch um keine Referenzstationen. Die Messgenauigkeit soll laut LfU bei ca. 30 Prozent liegen. Hawa Dawa machte hierzu eine Angaben. Bei den Sensoren handelt es sich um elektrisch-chemische oder optische Sensoren, die kalibriert werden müssen. Hierzu werden in die Cloud Werte eingespeist, Algorithmen gebildet und entsprechend kalibriert. Durch intelligente Vernetzung der Sensoren untereinander sollen diese lernen, die gemessenen Werte wie beispielweise die Außentemperaturen abzugleichen und die Schadstoffmessdaten richtig einzuordnen. Die NordAllianz-Gemeinden (Eching, Garching, Hallbergmoos, Ismaning, Neufahrn, Oberschließheim, Unterföhring und Unterschleißheim) starten im Herbst mit einem Smart City Pilotprojekt und werden flächendeckend an ca. 35 Punkten IoT-Sensoren an Lichtmasten installieren und über einen Erprobungszeitraum von 24 Monaten messen. In Echtzeit sollen die Werte für Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon erhoben und auf einer interaktiven Website einer privaten Firma präsentiert werden. Die Kreisstadt Germering hat seit April 10 Sensoren im Stadtgebiet verteilt. Jedoch wurde bisher darauf verzichtet die Werte zu kommunizieren. Die EU erarbeitet gerade eine eigene Norm zur Evaluierung der Qualität der Messdaten von low-cost Messgeräten (CEN/TC 264/WG 42, die wahrscheinlich 2021 verabschiedet wird.

Berechnungsmethoden:
Bei der Berechnung nach der sog. Screening-Methode werden die Konzentrationen auf Basis konservativer Ansätze und vereinfachender, idealisierter Annahmen ermittelt. So wird z.B. die Straßenrandbebauung in Abschnitten von etwa 100 m Länge hinsichtlich des mittleren Abstandes, der Höhe und Durchlässigkeit einheitlich festgelegt.

Bei punktuellen Detailuntersuchungen würden dagegen die vorhandenen Gebäude an dieser Stelle in ihren genauen Abmessungen und jeweiligen Abständen zum Verkehrsweg erfasst und Ausbreitungsberechnungen auf Basis von Verkehrsdaten durchgeführt. Die Erfahrung zeigt, dass Detailuntersuchungen im Regelfall niedrigere Konzentrationen an Luftschadstoffen ergeben, als die Screening-Methode. Solche Berechnungen führt in Bayern nur das Ingenieurbüro Müller BBM durch. Um Aussagen zur lufthygienischen Situation im kritischen Bereich der Oberhachinger Straße zu erhalten schlägt Müller-BBM eine solche Berechnung vor. Laut Kostenangebot vom 25. Juni 2019 betragen die Honorarkosten für die Detailberechnung mit dem 3-dimensionalen mikroskaligen Strömungs- und Ausbreitungsmodell MISKAM 6.900 € zzgl. MwSt. Optional wird auch eine Neuberechnung mit neuer städtebaulicher Planung mit 3.500 € je Planfall mit angeboten.

Laut Herrn Dr. Pritz, stellvertr. Sachgebietsleiter vom Ref. 23, Landesamt für Umweltschutz, nehmen die Luftverunreinigungen mit Abstand zur Quelle (Straße) sehr schnell ab. NO2 stärker als Feststoffpartikel. Bei einem Abstand von 6 m tritt eine Verringerung der NO2-Schadstoff-konzentration von 20 – 30 Prozent ein. Folglich sollten bei der künftigen Bebauung entlang der Oberhachinger Straße neben Maßnahmen zur Verbesserung des Lärmschutzes auch Optionen zur Verbesserung der Immissionssituation geprüft und umgesetzt werden, damit es zu keiner Verschlechterung kommt.

Mögliche Konsequenzen:

Sofern belastbare Hinweise auf Überschreitungen von Immissionsgrenzwerten bestehen, Grenzwertüberschreitungen werden durch das Bayerische Landesamt für Umweltschutz (LfU) an das Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV) übermittelt, muss die Gemeinde Maßnahmen zur Reduktion der Luftschadstoffbelastung ermitteln und innerhalb des gesetzlichen Rahmens umsetzen. Selbst bei einer Immissionsgrenzwertüberschreitung entlang der Verkehrswege würde das LfU die Aufstellung eines Luftreinhalteplans für Grünwald nicht für sinnvoll erachten, da es sich im vorliegenden Fall eher um einen kleinräumigen Bereich mit monokausaler Ursache handeln würde.

Vorschlag der Verwaltung:

Aus diesem Grund schlägt die Verwaltung vor, wie oben ausgeführt eine Detailberechnung mit dem 3-dimensionalen mikroskaligen Strömungs- und Ausbreitungsmodell MISKAM im Teilbereich der Oberhachinger Straße zwischen Josef-Würth-Straße und Josef-Sammer-Straße durchzuführen. Nach Fertigstellung der Bebauung der Baugenossenschaft wird nochmals entschieden, ob eine Messung für die Straßen Oberhachinger Straße, Südliche und Nördliche Münchner Straße, Tölzer Straße, Emil-Geis-Straße und Marktplatzkreuzung durchgeführt werden soll.

Beschluss

Die Verwaltung wird beauftragt, wie oben ausgeführt eine Detailberechnung mit dem 3-dimensionalen mikroskaligen Strömungs- und Ausbreitungsmodell MISKAM im Teilbereich der Oberhachinger Straße zwischen Josef-Würth-Straße und Josef-Sammer-Straße durchzuführen. Nach Fertigstellung der Bebauung der Baugenossenschaft wird nochmals entschieden, ob eine Messung für die Straßen Oberhachinger Straße, Südliche und Nördliche Münchner Straße, Tölzer Straße, Emil-Geis-Straße und Marktplatzkreuzung durchgeführt werden soll.

Abstimmungsergebnis
Dafür: 13, Dagegen: 6

Abstimmungsbemerkung
GR-Mitglied Loos war während der Abstimmung nicht anwesend.

Datenstand vom 27.09.2019 09:09 Uhr