Grünwalder Ortsgeschichte und Erforschung des Lebens der jüdischen Mitbürger in der Zeit von 1933 - 1945; Zwischenbericht von Frau Dr. Susanne Meinl;


Daten angezeigt aus Sitzung:  Sitzung des Gemeinderates, 22.10.2019

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.
Gemeinderat (Gemeinde Grünwald) Sitzung des Gemeinderates 22.10.2019 ö informativ 4

Sachverhalt

Frau Dr. Susanne Meinl stellt den Mitgliedern des Gemeinderates ihren Zwischenbericht vor und berichtet wie folgt:

Leider ist zu konstatieren, dass die Quellenlage bis 1945 nicht besonders gut ist. Dies betrifft leider auch das Gemeindearchiv. Eine geschlossene Überlieferung der NSD­AP-Ortsgruppe Grünwald oder der zuständigen Kreisleitung der NSDAP Wolfrats­hausen, später München-Landkreis, kann als vernichtet gelten, ebenso wesentliche Teile der diesbezüglichen Akten der Gestapo und anderer Behörden. Auch die bishe­rigen Ergebnisse aus dem Bundesarchiv in Berlin auf Grundlage der Akten der NSD­AP, SS, SA und der Parteigliederungen offenbaren für Grünwald große Lücken. Im Gemeindearchiv Grünwald sind noch in den 1950er Jahren wichtige Quellen ausge­sondert und eingestampft worden. Der größere Verlust ist sicher aber in der Kriegs­endphase eingetreten. Recht gut ist die Überlieferung der Entnazifizierungs- und Wie­dergutmachungsakten. Für die Zeit nach dem Mai 1945 hat das Gemeindearchiv un­erwartete Schätze zu bieten, insbesondere für die Jahre bis ca. 1952, die einen faszi­nierenden Einblick geben in eine Zwangsgemeinschaft von Einheimischen und Frem­den, Deutschen und Amerikanern, Tätern und Opfern, NS-Funktionsträgern und KZ-Überlebenden, ehemalige Zwangsarbeitern, Displaced Persons, Flüchtlingen und Hei­matvertriebenen.

Ich habe die folgenden Schwerpunkte gesetzt:

  • Wann entstand die Ortsgruppe der NSDAP, aus welchen ideologischen, politi­schen, wirtschaftlichen und sozialen Faktoren speiste sie sich, wer waren die Entscheidungsträger auf der Ebene der Gemeindeverwaltung?
  • Was waren Handlungsfelder und Themen? Nennen möchte ich hier schon die  Stichwörter Antisemitismus und Denunziationen, ein für Grünwald leider sehr alltägliches Phänomen bis in die letzten Kriegstage, oder der gezielte Kampf um die Jugend, Stichwort Bekenntnisschule versus nationalsozialistische Päd­agogik sowie die gezielte Personalpolitik bei der Lehrerbesetzung nach dem Schulhausneubau. Grünwald galt als „schwarze“ oder „reaktionäre“ Gemeinde, und wer die Jugend hatte, bestimmte die Zukunft.
  • Welche nationalsozialistischen Politiker und Spitzenfunktionäre waren in Grünwald ansässig oder damit verbunden? Nahmen sie Einfluss auf Gemeinde­politik und Alltag?
  • Welche Gruppen von politisch, rassisch oder religiös Verfolgten gab es?
  • Wie verlief der Prozess der Arisierung und wer waren Durchführende und Nutznießer?
  • Wie ist der Masseneinsatz von Fremd- und Zwangsarbeitern zu bewerten, wel­che Nationen und Ethnien arbeiteten bei wem, wie waren die Lebensumstände und die Behandlung?
  • Hat es im Ort unabhängig von der Freiheitsaktion Bayern im April 1945 eine nennenswerte Resistenz gegeben oder verhinderten Akzeptanz für das Regime, die (Selbst-)Gleichschaltung und die soziale Kontrolle im Alltag oppositionelle Handlungen? Hier gilt es besonders, die stillen Heldinnen und Helden namhaft zu machen, die kleinen Gesten und Unterstützungsleistungen herauszuarbeiten.

Sehr spannend in diesem Kontext die Rolle des NS-Ortsgruppenleiters Christi­an Nusser und des Ortsgruppenleiters und Bürgermeisters Konrad Buttersack Der zweite Fragen-Komplex umfasst das Kriegsende und das Jahrzehnt danach, also Durchführung der Entnazifizierung und der sogenannten Wiedergutmachung, aber auch Grünwald als Ort des Kalten Krieges, als Glacis für die Geheimdienste. Noch bis auf Einzelfälle außen vor ist die Bavaria, da sie ein großes, ganz eigenes Thema bildet.

Zur ersten Bestandsaufnahme und Analyse des Möglichen habe ich vier umfangrei­che Stichproben angelegt:

  1. Eine einfache Datenbank mit ca. 250 Angehörigen der NSDAP und ihrer Glie­derungen, Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS aus Grünwald/mit Grünwalder Wohnsitz, aber auch Multiplikatoren wie Künstler, Schauspieler, Gelehrte und für Grünwald besonders wichtig, Architekten durchzurastern.  
  2. Eine vollständige Aufstellung der Vermögenskontrollakten, die mit Grünwald und Geiselgasteig verbunden sind. Der Vermögenskontrolle nach alliiertem Ge­setz unterlag unter anderem, wer Mitglied der NSDAP und ihrer Gliederungen war, Eigentum von rassisch oder politisch Verfolgten zum Stichdatum X in sei­nem Besitz hatte oder sich durch seine Handlungen als Unterstützer des Natio­nalsozialismus hatte zu erkennen geben. Jüdischer Besitz wurde bis zur Klärung der Eigentumsverhältnisse in den Wiedergutmachungsverfahren durch Treuhänder des Landesamtes für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung verwaltet.
  3. Eine Zusammenstellung der Rückerstattungsakten im Geltungsbereich des Oberfinanzpräsidiums München bzw. des Regierungsbezirks Oberbayern.

Diese momentan 70 Seiten umfassende Liste enthält im Wesentlichen:

a) mobilen und immobilen Besitz in Grünwald
b) mobilen und immobilen Besitz von in Grünwald vor und nach 1945 leben­den Rückerstattungsberechtigten und -Pflichtigen. Sie finden hier also bei­spielsweise auch jemanden wie Heinz Rühmann, der als Zweit- oder Dritter­werber ein arisiertes Grundstück besaß.
c) in Grünwald lebende Angehörige mit Prokura oder Anteilen von Gesell­schaften und Firmen, die an Arisierungen oder auch Übernahme von Firmen in den besetzten Ländern von nichtjüdischen Eigentümern auch an Orten außer­halb Grünwalds beteiligt waren.

Was diese Akten nur teilweise erfassen, ist der Bereich der persönlichen, immateriel­len Verfolgung nach dem Bundesentschädigungsgesetz, also Schäden an Leib und Le­ben, Gesundheit, beim beruflichem Werdegang etc. Die geplante Auswertung dieser sensiblen Akten wird aufgrund der fast vollständigen Sperrung durch Schutzfristen in der verbleibenden Zeit auch nur stichprobenweise möglich sein.

4. Eine Stichprobe zur Anzahl der in Grünwald tätigen Fremd- und Zwangsar­beiter und Kriegsgefangenen und der vorhandenen Ethnien durch Auswertung der Datenbank des Internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes. Grünwald gehört mit Pullach zu den geschätzt fünf Orten im Landkreis mit dem höchsten Fremdarbeitseinsatz.

Den größten Anteil an Fremd- und Zwangsarbeitern stellten über die Arbeit­sämter zwangsverpflichteten Dänen und Bulgaren sowie französische Kriegs­gefangene. Aber auch bei Handwerksbetrieben, in Haushalten, Bauunterneh­men, im Forstbetrieb und der Landwirtschaft waren Franzosen und sowjetische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen tätig, beispielsweise beim Gut Lauf­zorn des Weidener Trikotagenfabrikanten Josef Witt.

Und 5. Die stichprobenweise Sichtung der im Gemeindearchiv aufbewahrten Unterlagen.

Ich habe für heute Abend drei Themenkomplexe ausgesucht: 1. Wie die NSDAP nach Grünwald kam, 2. welche NS-Prominenz sich hier ansiedelte und als Einzelfall 3. wie sich dadurch das Leben der antisemitisch Verfolgten änderte

1. Wenn man sich die Liste der ersten NSDAP-Mitglieder von 1919 bis 1921 an­schaut, so finden sich darunter einige, die ab Ende der 1920er Jahre in Grünwald leb­ten. Es sind allerdings nur zwei, die 1920 zum Zeitpunkt ihres Eintritts in Grünwald, besser gesagt, Geiselgasteig lebten, nämlich der Kunstmaler Paul Kaemmerer und der spätere Ortsgruppenleiter von Feldafing, Dr. Heinz Brubacher. Brubacher, Sohn des Zahnarztes des letzten bayerischen Königs, lebte bis Mitte der 1920er Jahre im Haus der Erzherzogin Maria Josepha von Österreich.

2. Keimzelle der NSDAP im Münchner Süden war Solln. Hier entstand im Umfeld von Hitlers Wahlmutter Hermine Hoffmann, dem Fabrikanten Albert Pietzsch von den Elektrochemischen Werken in Höllriegelskreuth und dem dort angestellten Archi­tekten und späteren ersten Kreisleiter Carl Lederer eine Ortsgruppe, in der sich auch Nationalsozialisten aus Pullach engagierten. Auch eine Sturmabteilung (SA) entstand, die sich im November 1923 beim Hitler-Ludendorff-Putsch beteiligte. Darin mögli­cherweise auch der noch minderjährige Otto Hartmann jr. aus Grünwald, der dafür später den sogenannten „Blutorden“ bekam.

Als Ende der 1920er Jahre ein Stützpunkt der NSDAP in Grünwald entstand, war die Gruppe als organisatorischer Bestandteil der Ortsgruppe Solln dem Kreis Wolfrats­hausen der NSDAP angeschlossen, die SA hing zumindest zeitweise mit der Pulla­cher SA zusammen.

Stützpunkt heißt, dass es weniger als 50 Parteigenossen und -genossinnen waren. Am 1. August 1930, also noch vor der für die NSDAP sehr erfolgreichen Reichstagswahl im September, wurde die Ortsgruppe Grünwald ins Leben gerufen.

Auffällig ist, dass das Engagement in der NSDAP und der SA häufig ganze Familien umfasste. Beispielsweise die Familien Otto Hartmann sr.,jr. und der Schwager Alfred Stölzl, die bereits 1919 bei Thule-Gesellschaft aktive Lilli Winiger-Fischer und ihr Sohn, Familie Engelke oder die beiden Kunstmaler Kaemmerer und die Janichs aus Geiselgasteig.

Spätestens ab dem Sommer 1931 traten auch Angehörige der Reichsleitung der NSD­AP in Grünwald verstärkt in Erscheinung. Und zwar hatte die Reichsführerschule der NSDAP, die im Juni 1931 im Hintergebäude des Braunen Hauses eingerichtet worden war, ein Grundstück in Neu-Grünwald „zur sportlichen Ertüchtigung“ der zu schulen­den SA-Führer gepachtet und wollte dort Gebäude errichten. Hintergrund der mögli­chen Verlagerung war vermutlich die ständige Polizeiüberwachung, der mangelnde Platz und der Unmut der Nachbarn in München. 1930 oder 1931 zog außerdem der oberste SA-Führer für München und Oberbayern, August Schneidhuber, nach Grün­wald in die Nähe dieses Geländes.

Bald kam es auch in Grünwald zu Beschwerden, da einer der Grundstücksnachbarn die von ihm als Baugrundstücke ausgewiesenen Anliegerparzellen aufgrund des Auf­tretens der nationalsozialistischen „Führer“ nicht mehr los wurde. Bürgermeister Kneidl wurde vom Gemeinderat beauftragt, nach München zu fahren und bei Franz Xaver Schwarz Beschwerde zu führen. Schwarz sagte Kneidl zu, dass sich die Partei­leute in Zukunft besser benehmen würden. Bis zum Frühjahr 1933 lehnte der Ge­meinderat einen Ausbau der Reichsführerschule wiederholt ab.

Nach der „Machtübernahme“ wurde Grünwald für die Errichtung einer jetzt aller­dings wesentlich größeren Reichsführerschule an der Eierwiese auserkoren. Zu die­sem Zweck erwarb die NSDAP über den Reichsschatzmeister Schwarz das weitläufi­ge Areal um das Parkschlösschen des Deutsch-Schweizer Unternehmers Pius Mäch­ler. Ob Mächler freiwillig verkaufte und ihm nur der Preis zu niedrig war, vor allem die Schmiergelder für den berüchtigten Grundstücksachverständigen der Reichslei­tung, Gotthard Färber zu hoch, oder er wirklich unter Druck verkaufte, muss noch eingehender erforscht werden. Die Gemeindeverwaltung scheint über den Verkauf al­lerdings nicht unglücklich gewesen zu sein.

Natürlich erhoffte sich die von der Weltwirtschaftskrise stark in Mitleidenschaft ge­zogene Gemeinde mit der Ansiedlung einer großen NS-Organisation eine kommunale Förderung bei der Infrastruktur und Aufträge für die in Grünwald relativ zahlreich vorhandenen Bauunternehmen, Handwerksbetriebe, Architekten und Künstler. Sie hatten unter der Hyperinflation und der Weltwirtschaftskrise besonders gelitten, wa­ren vielfach hochverschuldet, und setzten ihren Hoffnungen daher auf die NS-Bewe­gung. Dies galt auch für die Gastronomie.Für die neue große Reichsführerschule wur­de im Herbst 1933 ein großer Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Allerdings fand keiner der Entwürfe Hitlers Gnade, auch nicht der monströse Entwurf von Albert Speer. Denn die Einreichung erfolgte anonym. Speer war „durchgefallen“,  und obwohl Jurymitglied Paul Troost Hitler den Entwurf Speers empfahl, konnte sich Hitler dafür nicht erwärmen. Aber auch die anderen Entwürfe fanden keine Gnade und so zogen 1934 nicht viele Reichsführer in spe ins umgebaute Parkschlösschen-Areal ein, sondern Schwarz.

Damit begann der Reigen der NS-Größen, die sich in Grünwald kleine und große An­wesen ankaufen ließen. Es war eine typische Entwicklung im Münchner Speckgürtel, das wenn einer der NS-Größen eine Villa, ein Sommerhaus oder eine Jagdhütte ir­gendwo erwarb, der nächste nachzog und meist noch ein wenig größer und prunkvol­ler baute. So am Tegernsee, wo sich Schwarz, Himmler und der Presse-Zar Max Amann einen Wettbewerb lieferten oder eben in Grünwald, wobei es hier wohl auf­grund der Bauordnung noch relativ gesittet und bescheiden zuging – bis auf den Streit um die 1,85 hohe Grundstückseinfriedung der Villa Ley natürlich...

Vielleicht waren es die im Gemeinderat bekannten schwierigen Verkaufsverhandlung mit dem als knausrig geltenden Reichsschatzmeister, die den 3. Bürgermeister Dr. Al­fons Englsperger 1935 bewogen, über einen Mittelsmann ein Teil seines Grundstücks der Deutschen Arbeitsfront anzubieten. Englsperger wurde in diesem Zeitraum von den NS-Behörden gezwungen, seine koedukative Privatschule zu schließen. Er muss­te allerdings mit der Zahlungsmoral der Deutschen Arbeitsfront auch nicht die besten Erfahrungen machen. 1937 hatte der mit dem Bau beauftragte Lieblingsarchitekt von Ley, Clemens Klotz, eine vergleichsweise moderne und mondäne Villa fertig gestellt, gerade rechtzeitig für den Besuch des abgedankten englischen Königs Eduard des VIII und seiner Ehefrau Wallis Simpson in München und der Einweihung des Hauses der deutschen Kunst.

Ley war außerdem frisch geschieden und wiederverheiratet. Hitler schätzte seine neue Ehefrau, die attraktive Sopranistin Inga Spilker, außerordentlich und suchte ihre Gesellschaft. Ley rechtfertigte seine prunkvolle Bausucht daher gerne mit den Besu­chen Hitlers. Gerüchtweise besaß Herr der „Deutschen Arbeitsfront“ außer in Grün­wald, seinem Anwesen in Berlin und dem Musterbauernhof Rottland noch 15 weitere Villen im ganzen Reich, zumindest wollten das Angehörige eines Widerstandskreises wissen, die 1937 eine einzigartige Protestaktion in der Nördlichen Münchner Straße planten, allerdings am Porto von 150 RM scheiterten....

Bis zum Kriegsausbruch 1939 hielt der Run der NS-Größen auf Grünwald an. Der Reichsschatzmeister domilizierte auf der Eierwiese. Leys Stabsleiter Heinrich Simon, ebenfalls mit einer beliebten blonden Sängerin frisch verheiratet, bekam auf Kosten der Deutschen Arbeitsfront eine etwas bescheidenere Villa ebenfalls in der Nördli­chen Münchner Straße erbaut, das heutige afghanische Konsulat. Reichsstatthalter Franz Ritter von Epp kaufte oder baute eine Jagdhütte am Waldesrand, und der Gene­ral der Waffen-SS, Sepp Dietrich erwarb ein Haus in der späteren Dr.- Max-Straße. Allerdings nicht primär für sich selbst, sondern für seine geschiedene Ehefrau Betty.

Es erschien dem Oberfinanzpräsidium München daher 1942 durchaus glaubhaft, dass der Kommandeur des Reichssicherheitsdienstes, also des Personenschutzes für Hitler und andere NS-Größen, unbedingt ein Haus in der Umgebung von Ley und Schwarz benötigte, in dem er auch bei Besuchen Hitlers in München Aufenthalt nehmen konn­te. Die Finanzbehörden verwerteten seit November 1941 den Besitz der außer Landes getriebenen oder deportierten Juden. Vorher hatte die Verteilung des abgepressten Gu­tes die Arisierungsstelle des Münchner Gauleiters Adolf Wagner betrieben.

Grünwald klang auch deshalb glaubhaft, weil der Kommandeur, SS-General Johann Rattenhuber, Familie in Oberhaching besaß und das Haus quasi am Weg zwischen der Fahrbereitschaft der Partei in Pullach und zur Autobahn zum Obersalzberg lag. Hät­ten die Finanzbehörden genau hingeschaut, wäre ihnen sicher genau aufgefallen, das hier etwas nicht stimmen konnte. Denn Rattenhubers Objekt der Begierde in der Klingerstr. 2 war ein kleines, 1926 gebautes Blockhaus nur für die Sommerfrische.

Die ursprünglichen Besitzerinnen, die drei Schwestern Hirsch, Irene und Martha Hirsch sowie Nelly Pflug geb. Hirsch, hatten es im September 1938 erworben. Als Jüdinnen litten sie unter dem zunehmenden Antisemitismus in München und bauten das Blockhaus zu einer Zuflucht für sich aus. Die Schwestern, die aus einer wohlha­benden Münchner Fabrikantenfamilie stammten, fühlten sich in Grünwald geborgen. Ihr Hausarzt, Dr. Franz-Josef Bruckmayer, schrieb sie trotz seiner Parteimitglied­schaft regelmäßig krank, damit sie dem Zwangsarbeitseinsatz in München entgingen. Bürgermeister Buttersack und Ortsgruppenleiter Nusser scheinen sich nicht als anti­semitische Scharfmacher betätigt zu haben.

Doch alles änderte sich im Herbst 1941. Die Arisierungsstelle betrieb den Zwangs­umzug der antisemitisch Verfolgten in mehrere Lager nach München, um sie für die anstehenden Deportationen zu konzentrieren und den „arischen Volksgenossen“ in der unter Wohnraumknappheit leidenden Stadt die Anwesen und Mietwohnungen zu­zuschanzen. Als erste zum Zug kamen natürlich die NS-Bonzen, die sich ihre Häuser und Wohnungen zum Teil schon aussuchten und anschauten, als ihre Besitzer noch darin lebten.

So ähnlich muss es auch den Geschwistern Hirsch im September/Oktober 1941 er­gangen sein. Um das Haus schlich ein Ehepaar aus Kanada, das durch den Kriegsaus­bruch im September 1939 nicht mehr hatte nach Übersee zurückkehren können. Er war Bildhauer, noch militärpflichtig, und hatte durch die Familie seiner Frau beim Generalbaurat für die Neugestaltung der Hauptstadt der Bewegung Hermann Giesler eine UK-Stellung bekommen. Das deutsch-kanadische Ehepaar lebte im Haus der Schwägerin, aber hier war es zu Konflikten gekommen, da der an die kanadische Freizügigkeit gewohnte Bildhauer mehrfach Kritik am NS-Regime geäußert hatte. Der Ehemann der Schwägerin machte mehr als deutlich, dass er auch aufgrund seines Ranges und seiner beruflichen Aufgabe es für geraten hielte, dass das Bildhauerehe­paar möglichst bald ausziehen solle.

Sie ahnen es vermutlich, wer der Schwager war, genau, eben jener General Rattenhu­ber. Vermutlich über die Arisierungsstelle erhielt das Bildhauerehepaar Kenntnis von demnächst wohl „freiwerdenden“ jüdischen Liegenschaften und so tauchte es im Sep­tember/Oktober 1941 bei den Schwestern Hirsch auf. Sie gaben sich als Auslands­deutsche und Parteigegner zu erkennen und erreichten bei den Geschwistern deren Zustimmung, das Haus nur an sie zu verkaufen. Einige wenige Tage später kam der Befehl aus München, dass sie sofort ihr Haus zu verlassen und in eines der Judenla­ger zu ziehen hätten. Was danach passierte, ist Ihnen vermutlich gut bekannt: die Ge­schwister Hirsch versuchten Suizid zu begehen. Eine der Schwestern starb, die ande­ren beiden wurden gerettet, um dann im April 1942 nach Piaski deportiert zu werden, von wo sie nicht mehr zurückkehrten. Zu diesem Zeitpunkt lebte das Bildhauerehe­paar allerdings schon über Monate im Haus, und dank des Tricks mit des Führers Leibwächter als eigentlichem Hausbesitzer und der energischen Fürsprache von Gau­leiter Wagner hatten es die Finanzbehörden an das Ehepaar verkauft.

Da der Bildhauer in den letzten Kriegstagen als Angehöriger der Dolmetscherkompa­nie von Rupprecht Gerngross bei einem Bombenangriff unter ungeklärten Umständen ums Leben kam und seine Frau kein Parteimitglied war, blieben die Hintergründe des Selbstmordes der Geschwister Hirsch solange wenig bekannt, bis bei einer jüdischen Verfolgtenorganisation ein halb-anonymer Brief einging. Nämlich von der Bauherrin des Blockhaus', die den Geschwistern Hirsch immer wieder im Alltag ein bisschen geholfen hatte, soweit sie dies als alte Dame konnte. Den darauffolgenden jahrelan­gen Rechtsstreit um die Besitzverhältnisse des Hauses sind die letzten Lebenstage vor dem Suizid fast minutiös zu verfolgen.

Abschließend erlauben Sie mir noch die durchaus ernstgemeinte Frage, was wäre mit Grünwald passiert, wenn die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätten. Vieles ist sicher Spekulation, aber eine interessante Entwicklung haben wir bei den Recher­chen im Bundesarchiv in Berlin doch gefunden. Es gab bei den Nationalsozialisten ja viele, die den Hang zu prächtigen Schlössern und hochwertigen Villen besaßen. Mittelalterliche Burgen waren vor allem die Passi­on des Reichsführer SS Heinrich Himmler, der sich selbst als Reinkarnation Hein­richs des Löwen wähnte. Heinrich der Löwe war in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts mit dem Herzogtum Bayern belehnt worden. Quasi als Reinkarnation eines bayeri­schen Herzogs wollte Heinrich Himmler nun fast 800 Jahre später eine der Stammsit­ze der Wittelsbacher in seinen Besitz bringen, nämlich das Schloss Grünwald. Im Fe­bruar 1944 wies Himmler den Leiter des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes Oswald Pohl dazu an, im Benehmen mit dem Reichsschatzmeister Franz Xaver Schwarz dafür zu sorgen, dass die SS über kurz oder lang in den Besitz des Schlosses gelangte. Die Begründung für den Kirchenhasser Himmler:

„Geheim!                                        Feld-Kommandostelle, den 26. Februar 1944
„Lieber Pohl!
Das Schloss Grünwald in Grünwald bei München ist der Geburtsort des Kaisers Lud­wig der Bayer. Ludwig der Bayer war von der Kirche in Acht und Bann getan und war ohne Zweifel ein großer deutscher Kaiser. Ich bitte Sie unter der Hand einmal für den Kauf dieses Schlosses zu sorgen. Ich möchte später irgendeine weltanschauliche Schule dorthin tun.“

Pohl sondierte die Eigentumsverhältnisse, klärte, dass die Eigentümer des Schlosses, wenn sie denn überhaupt verkaufen würden, dies nur bei „Ersatzgestellung eines gleichartiges Objektes“ wohl tun würden und setzte sich mit Schwarz ins Benehmen, damit man ankaufen könne, wenn die Familie Zeiller das Schloss vor Ende des Krie­ges, natürlich einem siegreichen Ende, abstoßen würde. Zu dem ist es bekanntlich nicht gekommen...

Datenstand vom 21.11.2019 15:57 Uhr