Antrag aus Bürgerversammlung: Erweiterung des Leinenzwanges auf das gesamte Gemeindegebiet - rechtliche Beurteilung


Daten angezeigt aus Sitzung:  Sitzung des Gemeinderates, 11.10.2023

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.
Gemeinderat (Gemeinde Rohrbach) Sitzung des Gemeinderates 11.10.2023 ö 12

Sachverhalt

Aus der Bürgerversammlung in Fahlenbach am 16.04.2023 kam die Anregung die Situation von angeleinten Hunden außerhalb der Wohnbebauung in freier Natur zu prüfen. Der Bürger fordert den Erlass eines generellen Leinenzwanges im Gemeindegebiet. Auch ein Jäger hat vorgebracht, dass man während der Brut- und Setzzeit (1. März bis 15. Juli in Bayern) der wildlebenden Tiere den Leinenzwang ausweiten sollte. 

Allgemeine Informationen
In der Gemeinde Rohrbach gilt die Hundeanleinverordnung vom 22.04.2009. Die Verordnung beruht auf der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des Art. 18 Abs. 1 Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG). Demnach können Gemeinden zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum oder die öffentliche Reinlichkeit durch Verordnung das freie Umherlaufen von großen Hunden und Kampfhunden im Sinne des Art. 37 Abs. 1 Satz 2 LStVG in öffentlichen Anlagen sowie auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen einschränken. Der räumliche und zeitliche Geltungsbereich der Verordnung ist auf die örtlichen Verhältnisse abzustimmen, wobei auch dem Bewegungsbedürfnis der Hunde Rechnung zu tragen ist. 

Dem Antrag aus der Bürgerversammlung kann aus folgenden Gründen nicht stattgegeben werden:
Neben den formellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Verordnung sind auch insbesondere die materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen zu beachten. Die materielle Rechtmäßigkeit ist in drei Punkten zu prüfen. 

Schritt 1 – Ermächtigungsgrundlage:
Beim Erlass von VO ist das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) zu wahren. Sicherheitsrechtliche VO beinhalten immer Rechtseingriffe (z. B. im Grundgesetz: allgemeine Handlungsfreiheit, Eigentum, etc.), weshalb als Basis ein formelles Gesetz gegeben sein muss. Die Ermächtigung in diesem Fall ist gegeben, siehe Ausführungen zweiter Absatz; die Grundlage für die neue VO wäre auch hier wieder das LStVG. 

Schritt 2 – Grenzen der Ermächtigung eingehalten?
Eine VO darf hinsichtlich der Gebote und Verbote nicht weiter gehen, als die Ermächtigungsgrundlage dies vorsieht. Wie oben erläutert, haben Gemeinden nach Art. 18 Abs. 1 LStVG nur das Recht, das freie Umherlaufen von großen Hunden und Kampfhunden (nicht also von allen Hunden) einzuschränken. Weiter eröffnet Art. 18 Abs. 1 LStVG diese Möglichkeit nur für öffentlichen Anlagen, öffentliche Wege, Straßen oder Plätze, nicht also für das gesamte Gemeindegebiet. Ein genereller Leinenzwang wird also durch die Ermächtigungsgrundlage nicht gestützt, da die Grenzen nicht eingehalten werden. Eine derartige Verordnung erweist sich damit als materiell ungültig.

Das sicherheitsrechtliche Tätigwerden im Wege einer Verordnung setzt, wie auch der Erlass einer Einzelfallanordnung, grundsätzlich das Vorliegen einer Gefahr voraus. Bei dem Umherlaufen von Hunden kann von einer abstrakten Gefahr gesprochen werden. Bei einer konkreten Gefahr ist eine Einzelfallanordnung nach Art. 35 BayVwVfG anzuordnen. 

Schritt 3 – kein Verstoß gegen höherrangiges Recht: 
Schließlich ist zu prüfen, ob die VO selbst gegen höherrangiges Recht (Bundes- oder Landesrecht, Bayerische Verfassung, Grundgesetz) verstößt und ob sie die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie das Bestimmtheitsgebot und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahrt. 

  • Bestimmtheit: Die Verordnung muss hinreichend bestimmt sein. Dies ergibt sich auch wieder aus Art. 20 Abs. 3 GG. Die Ge- und Verbote in einer Verordnung müssen so formuliert sein, dass die Allgemeinheit ohne weiteres weiß, was erlaubt ist und was nicht. Hierzu zählt auch die räumliche Bestimmtheit. Es muss sich also aus der VO ergeben, wo die Grenzen des Geltungsbereiches sind. Ist eine Beschreibung nicht ausreichend, kann der VO ein Lageplan beigefügt werden. 
  • Verhältnismäßigkeit: Auch beim Erlass einer VO ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Art. 8 LStVG zu beachten. Die Ge- und Verbote in der VO müssen demnach mit Blick auf das zu erreichende Ziel (die Abwehr einer mindestens abstrakten Gefahr) geeignet, erforderlich und letztlich auch angemessen sein. Indiz für die Verhältnismäßigkeit einer VO ist immer, wenn von den Ge- und Verboten auch Ausnahmen möglich sind. 
  • Gleichbehandlung/Willkürverbot: auch die Ge- und Verbote in einer VO dürfen nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen (Art. 3 GG) oder gar willkürlich sein. 

Dem Antrag des Jägers muss aus folgenden Gründen nicht stattgegeben werden:
Nach dem Bayerischen Naturschutzgesetz (BayNatSchG) hat jedermann das Recht auf den Genuss der Naturschönheiten und auf die Erholung in der freien Natur. Bei der Ausübung dieses Rechts ist jedermann verpflichtet, mit der Natur und Landschaft pfleglich umzugehen und auf die Belange der Eigentümer und Nutzungsberechtigten Rücksicht zu nehmen. 

Das Recht zum Betreten von Wald ist im Bayerischen Waldgesetz (BayWaldG) definiert. Für Hunde besteht sowohl im Wald als auch in der Landschaft zunächst einmal kein Leinenzwang. Einschränkungen gibt es lediglich in Landschafts- und Naturschutzgebieten. Die Naturschutzgesetze verbieten es grundsätzlich, wildlebende Tiere mutwillig zu beunruhigen, zu belästigen, zu fangen, zu verletzen oder gar zu töten. 
Doch die Bewegungsfreiheit der Hunde hat Grenzen: nach dem Bayerischen und dem Bundesjagdgesetz hat der Jäger die Berechtigung zum Schutz des Wildes tätig zu werden. Bereits das Aufstöbern, Beunruhigen oder Hetzen von Wildtieren kann den Verdacht des Wilderns begründen und entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen. 

Das Bundesland Bayern hat von einer Regelung in Bezug auf eine Anleinpflicht während der Brut- und Setzzeit keinen Gebrauch gemacht. Eine solche Regelegung könnte über die Untere Jagdbehörde/Unter Naturschutzbehörde getroffen werden, da diese für den Vollzug der jeweiligen Gesetze zuständig sind. Solange diese Regelung nicht besteht kann eine denkbare Änderung der bestehenden VO nicht erfolgen. 

Bei dieser Thematik ist generell an die Vernunft der Hundehalter zu appellieren. Bei dem Wildern oder Hetzen der wildlebenden Tiere muss der Hundehalter jederzeit damit rechnen, dass der Hund von einem Jäger geschossen wird.  

Datenstand vom 21.11.2023 14:03 Uhr