Gutachten zum Wert des Jugendhaus-Gebäudebestandes; Antrag der Stadtratsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN


Daten angezeigt aus Sitzung:  Bau- und Verkehrsausschuss-Sitzung, 07.10.2021

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.
Bau- und Verkehrsausschuss Bau- und Verkehrsausschuss-Sitzung 07.10.2021 ö Beschließend 12.1

Sachverhalt

Die Stadtratsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN stellt nachstehenden Antrag:



An den                                                                                                                                            
Stadtrat der Stadt Vöhringen                                                                                         
z.Hd. Herr Bürgermeister Michael Neher
Rathaus

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Neher,
liebe Stadtratskolleginnen und -kollegen,

wie schon in verschiedenen Sitzungen immer wieder angesprochen und eingefordert, wünschen wir aus klimaschonenden, ästhetischen und kulturell-gesellschaftlichen Gründen eine Planung der Neuen Rathaus-Mitte mit dem Erhalt des Jugendhauses – vorausgesetzt, dass ein neutrales Gutachten dieses auch für erhaltenswürdig einstuft. Der Abriss des Jugendhauses zugunsten der Neuen Rathaus-Mitte muss deshalb unbedingt neu überdacht werden.

Antrag:

Ein neutrales Gutachten soll den Wert des Jugendhaus-Gebäudebestandes und die Nutzung der Klimapotenziale von Sanierung statt Stadthaus-Neubau in der Neuen Rathaus-Mitte-Planung prüfen, um eine Entscheidung über die Erhaltung des Gebäudes treffen zu können.

Neben Klimaschutz sprechen weitere Gründe für den Bestandserhalt:

  • Das Jugendhaus ist eines von wenigen Gebäuden unserer Stadt mit Aura und Flair, das es zu erhalten Wert sein sollte. Seine charakteristische Architektur im Ensemble mit Rathaus, Marienkirche und Kulturzentrum hat eine besondere Qualität, die es grundsätzlich zu bewahren gilt.

  • Das Jugendhaus zeugt trotz seines nicht hohen Alters von einer beeindruckenden gesellschaftlichen und kulturellen Tradition: frühere Volksschule und Realschule sowie heutiges Jugendhaus mit vielfältiger Nutzung verschiedener Organisationen. So fühlen sich fast alle Vöhringer aller Generationen mit diesem Gebäude verbunden.

  • Der Anspruch an die Neue-Rathaus-Mitte-Planung besteht darin, sowohl das Bestehende als auch das Mögliche zu betrachten und die Relevanz beider Aspekte genau und mit Sorgfalt zu prüfen. Es gilt, anhand des sinnvollen Gebäudebestandes kreativ weiterzubauen und zu qualifizieren, statt klimaschädlich und herzlos abzureißen, um in den Mustern alter Planungen einfacher und mit wenig Kreativität neuzubauen. 

Begründung:

Grundsätzliches zum Faktor Bestandserhalt:
Ein ambitioniertes Klimaschutzprogramm fordert Maßnahmen, um CO2-Emissionen auch im Gebäudebereich nachhaltig zu senken. Der gesamte Lebenszyklus von Gebäuden muss in den Blick genommen werden: die Klimawirkung der Herstellung von Baustoffen, die Errichtung der Gebäude bis zur Wiederverwertung und dem Rückbau.

Wert des Gebäudebestandes und Nutzung der Klimapotenziale von Sanierung statt Neubau:
Verschiedene Organisationen in der Bau-Branche plädieren für einen ökologisch sinnvollen Bestandserhalt.
  • Das Beratungs- und Architektur-Unternehmen CSMM fordert ein radikales Umdenken und ressour­censchonendes Bauen im Bestand. In der Baupraxis geben Gebäudeplaner leider noch viel zu oft Abriss und Ersatzneubau den Vorzug vor dem ökologisch viel sinnvolleren Bestandserhalt samt Sanierung. Dabei lägen hier enorme Potenziale für die Einsparung von Ressourcen und CO2. Die Umweltschäden durch den Bausektor sind in der Tat sehr hoch. Laut Umweltbundesamt entstehen in dem Bereich rund 60 Prozent des Abfallaufkommens in Deutschland, zudem ist er für etwa 35 Prozent des Energieverbrauchs und 40 Prozent der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Um das mit dem Pariser Klimaabkommen beschlossene 1,5-bis-2-Grad-Erwärmungslimit einhalten zu können, muss auch der Baubereich in den nächsten Jahrzehnten CO2-neutral werden. Eine Studie des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie ergab voriges Jahr, dass dies im gesamten Gebäudebestand sogar schon bis 2035 nötig ist, um die untere Grenze von 1,5 Grad zu halten. Dafür müsste die Sanierungsquote bei Altbauten von derzeit rund einem auf vier Prozent pro Jahr erhöht werden.                                                                                                                                                                      Ein großes Problem ist die "graue Energie", die in die Herstellung der Baustoffe wie Beton, Stahl und Steine fließt. Sie geht bei einem Abriss verloren. Zudem ist das Abbrechen selbst energieaufwändig, und für die Baustoffe des neuen Gebäudes muss auch wieder viel Energie aufgewandt werden. Bei einer Sanierung ist der Energieaufwand weit geringer.
 
  • Auch die Initiative Architects for Future, die sich 2019 im Rahmen der Fridays-for-Future-Bewegung gebildet hat, fordert eine generelle "Bauwende", darunter mehr Aufklärung über den Wert des Gebäudebestandes und die Nutzung der Klimapotenziale von Sanierung statt Neubau. Erreicht werden soll damit ein "ökologi­scher, klima- und sozial gerechter Wandel der Baubranche".                                                                                                                                          Eine aktuelle Umfrage der "Architects" in der Kollegenschaft erbrachte eine Reihe von Hindernissen, die Sanierungen, Umbauten oder Erweiterungen – und somit eine ökologisch vorteilhafte Weiternutzung – oft verhindern. Fast ein Viertel (24 Prozent) der dort befragten Architekten verweisen auf eine fehlende Sachkenntnis und mangelndes ökologisches Bewusstsein bei den Bauherren (24 Prozent) – 13 Prozent sehen das fehlende Wissen bei den Fachplanern. Bisher würden sich Eigentümer und Projektentwickler oft verfrüht für einen Abriss und Neubau entscheiden. „Hier brauche es dringend mehr Aufklärung. Wenn wir eine klimaneutrale Zukunft haben wollen, führt am Gebäudebestand und seiner Sanierung kein Weg vorbei. Deshalb fordern wir, dass jeder Abriss wirklich kritisch hinterfragt wird", sagt CSMM-Partner Reiner Nowak. Es sollte grundsätzlich der Bestandserhalt mitsamt Sanierung geprüft werden.

  • In seinem Positionspapier "Das Haus der Erde" spricht sich der BDA (Bund deutscher Architektinnen und Architekten) für einen ökologischen Wandel im Planen und Bauen aus und fordert, dass Stadtplaner und Architekten zunehmend ohne Neubau auskommen sollten. "Priorität kommt dem Erhalt und dem materiellen wie konstruktiven Weiterbauen des Bestehenden zu und nicht dessen leichtfertigem Abriss", heißt es in dem Papier, das auf dem BDA-Tag 2019 beschlossen worden ist und das Anfang 2021 um klimapolitische Forderungen ergänzt wurde. Die "graue Energie", die vom Material über den Transport bis hin zur Konstruktion in Bestandsgebäuden stecke, müsse ein wichtiger Maßstab zur energetischen Bewertung im Planungsprozess werden. Wer Gebäude saniert und qualifiziert, könne bereits eingesetzte Rohstoffe und Materialien noch einmal nutzen und dabei bezahlbaren Wohn- und Arbeitsraum erhalten. 
  • Das seit 01. Juli 2021 erweiterte Angebot der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) schafft zusätzliche Anreize – als Kredit oder als Zuschuss. Das ist eine Herausforderung für die Energieberatung und schafft Impulse für die Modernisierung im Gebäudebestand, der bis 2045 weitgehend klimaneutral werden soll. 

Fazit:
Die Gebäudesanierung ist DIE zentrale Aufgabe zur Minimierung der Grauen Energie im nachhaltigen Bauen. Gefragt sind schlüssige Lösungen, die zeitgemäße Nutzungslösungen in alten Mauern zulassen und keine schlechten Kompromisse sind. Schaffen wir das doch auch bei einer klimafreundlichen Planung unserer neuen Rathaus-Mitte!

Vielen Dank!
Markus Harzenetter, Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/DIE GEÜNEN

Diskussionsverlauf

Bürgermeister Neher gibt Herrn Harzenetter Gelegenheit, den vorliegenden schriftlichen Antrag der Stadtratsfraktion Bündnis90/DIE GRÜNEN mündlich zu erläutern. 

Herr Harzenetter ergreift diese Chance und nimmt dabei Bezug auf eine Besichtigung des Gebäudes, welche ihm gezeigt hat, dass jedenfalls die Bausubstanz des Jugendhauses „gut“ sein dürfte, wie auch ein Blick in den (trockenen) Keller und den Dachstuhl grundsätzlich bestätigt hat. Er bittet schließlich darum, seinem Antrag aus Gründen des Klimaschutzes und der kulturellen Tradition sowie dem Charme des heutigen Jugendhauses zuzustimmen.

Bürgermeister Neher erklärt zu diesem Thema unmissverständlich, dass es letztendlich nicht darum gehe zu prüfen, ob es ökologisch und ökonomisch sinnvoll sei das Jugendhaus als Gebäude zu erhalten, sondern eine attraktive und zukunftsgerichtete Neue Rathausmitte zu schaffen. Dem stehe das Jugendhaus aufgrund seiner Lage seines Erachtens existenziell entgegen.

Beschluss

„Ein neutrales Gutachten soll den Wert des Jugendhaus-Gebäudebestandes und die Nutzung der Klimapotenziale von Sanierung statt Stadthaus-Neubau in der Neuen Rathausmitte-Planung prüfen, um eine Entscheidung über die Erhaltung des Gebäudes treffen zu können.

Abstimmungsergebnis
Dafür: 3, Dagegen: 10

Datenstand vom 11.11.2021 12:44 Uhr