Verw.Rat Alfons Sier führt folgendes aus:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
eigentlich könnte ich es mir jetzt einfach machen. Nachdem meine beiden Vorredner alle hier im Saal zum Teil persönlich begrüßt haben, der 1. Bürgermeister alles aufgezählt hat, was im abgelaufenen Jahr so alles geschehen und erledigt worden ist, der 2. Bürgermeister sich so seine eigenen Gedanken gemacht und ausreichende Dankesworte gesprochen hat, könnte ich sagen: Ich schließe mich den Worten meiner Vorredner an.
Der eine oder andere von Ihnen wäre wahrscheinlich gar nicht böse, gäbe es doch das anschließende Essen etwas früher. Andere wiederum, die sich schon auf den diesjährigen Fauxpax des Geschäftsleiters gefreut haben, wären aber vielleicht etwas enttäuscht. Und wiederum, wie schon so oft in meinem Leben, muss ich erkennen, dass man es leider nicht jedem recht machen kann.
Apropos: Es allen recht machen. Wie schwer das ist, das muss auch unser Bürgermeister ein jedes Jahr wieder bei den Bürgerversammlungen erfahren. All jene, die daran teilnehmen (meist sind es immer die gleichen), sind „besorgte Bürger“, die darauf Wert legen, dass ihre „Sorgen“ gefälligst „ernst genommen werden“. Dabei sind die Sorgen so vielfältig und unterschiedlich, wie die Bürger selbst auch. Es beginnt bei den Schlaglöchern, die unbedingt verfüllt werden müssen, führt zu den Mülltonnen, die am Sonntag überall in der Stadt herumstehen, weil sie erst am Montag entleert werden, bis hin zu den abgesenkten Bordsteinen und den nur 1 x im Jahr gemähten Banketten. Nun, zu behaupten, es gäbe nur Beanstandungen oder Schelte für den Bürgermeister, die Verwaltung oder den Außendienst, wäre ungerecht. Es gibt auch manchmal Worte des Lobes, die aber in der Regel gleich darauf wieder eingeschränkt werden durch den Zusatz „…. aber …..“.
Mir persönlich, und dazu stehe ich, sind viele der in den Bürgerversammlungen vorgetragenen Sorgen nicht der Rede wert. Ein kurzer Anruf beim Außendienstleiter oder im Rathaus, und das Problem wäre um Handumdrehen gelöst. Ich will nun nicht mit den Worten eines bekannten Kabarettisten sprechen, der gesagt hat: „Mit ist entschieden zu viel Unfug im Umlauf.“ Aber seien wir einmal ehrlich: Es gibt so viele tatsächliche Probleme auf dieser Welt, die es zu bewältigen gibt, dass ein 5 cm tiefes Schlagloch dagegen mit Sicherheit nicht der Rede Wert ist. Das eigentliche Problem liegt doch darin, dass sich das Schlagloch direkt vor meinem Grundstück befindet und ich zusammen mit meinem Auto damit leben muss. Wenn hingegen woanders auf dieser Welt Menschen verfolgt werden, dann berührt mich dies zwar und ich habe Mitgefühl, aber ich bin ja nicht selbst davon betroffen. Und wenn ich die Nachrichten aus aller Welt nicht mehr sehen und hören möchte, dann nehme ich die Fernbedienung meines ultrascharfen Groß- und Flachbildfernsehers in die Hand, schalte um und entspanne bei einer der zahlreichen Koch-Shows oder bei „Bauer sucht Frau“.
Nun möchte ich auf keinen Fall der Versuchung unterliegen, Probleme schönzureden und über offenkundige Defizite hinwegzusehen. Ich möchte vielmehr darauf hinweisen, dass zur Wirklichkeit zwar ein kritischer Blick auf die Realitäten dazu gehört, dieser Blick aber eine selbstkritische Sichtweise mit einschließen sollte. So sollte man sich immer wieder einmal selbst fragen: Habe ich mich in jeder Situation so verhalten, wie ich es mit meinem Gewissen verantworten kann? Habe ich nicht auch das eine oder andere mal für mich die „Ausrede“ in Anspruch genommen: Das macht je jeder, also darf ich es auch. Bin ich so manches Mal nicht lieber den Weg des geringsten Widerstandes gegangen anstelle eines vielleicht schwierigen, aber notwendigen Einsatzes für eine gute Sache? Die ehrliche Antwort auf solche Fragen ist nicht immer ganz einfach zu finden. Vor allem dann, wenn der Blick in den Spiegel der eigenen Befindlichkeit nicht immer zur Zufriedenheit ausfällt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich möchte nicht als weltfremder „Weltverbesserer“ verstanden werden. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass altmodisch erscheinende Begriffe wie Anstand und Ehrgefühl keine überholten Verhaltensweisen sind. Ich möchte nur daran erinnern, dass auch in der heutigen Zeit die Menschen aufeinander angewiesen sind, sei es als Nachbar oder Arbeitskollege. Gegenseitiger Respekt, Toleranz und Verantwortungsgefühl für den Nächsten sollten unser Klima prägen, wobei ich ganz besonders das Wort „gegenseitig“ betonen möchte. Es ist wichtig und notwendig, sich über seine Mitmenschen Gedanken zu machen und dabei auch den Mut zu haben, auf den anderen zuzugehen, wenn man spürt, dass dieser der Hilfe bedarf. Die Notwendigkeit dazu besteht häufiger, als man oftmals annimmt. Denken wir darüber nach!
Nun aber genug meiner Worte, das Essen wartet.
Auch wenn ich mit meiner kurzen Rede wieder einmal in eines der berühmten „Fettnäpfchen“ getreten sein sollte (aber dafür bin ich ja bekannt) wünsche ich Ihnen allen hier im Saal trotzdem ein frohes, besinnliches und geruhsames Weihnachtsfest sowie ein erfolgreiches, gesundes und vor allem zufriedenes Neues Jahr 2017.
Ganz zum Schluss noch ein kleiner Hinweis: Ich freue mich schon jetzt auf die Bürgerversammlungen im kommenden Jahr.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.“