Daten angezeigt aus Sitzung:
7. Sitzung des Stadtrates, 19.07.2022
Beratungsreihenfolge
Sachverhalt
Die Bürger Union (BU) hat am 7. Juni 2022 einen Antrag auf Durchführung eines Ratsbegehren zur Entwicklung der Hinteren Insel auf dem Gelände des früheren Seeparkplatzes (P5) zur Frage „Wohnbebauung oder Parklandschaft“ gestellt. Auf Anregung des Hauptamtes, den Antrag bzgl der Fragestellung zu konkretisieren, hat die BU mit dem Datum 7. Juli 2022 beantragt, folgenden Beschlussvorschlag zur Abstimmung zu stellen:
„Die Verwaltung wird beauftragt, ein Ratsbegehren mit der folgenden Frage durchzuführen: Sind Sie dafür, dass auf dem städtischen Gelände der Hinteren Insel (ehemaliger Seeparkplatz P5) ein großzügiger Stadtpark entsteht, anstelle der im Rahmenplan vorgesehenen Bebauung?“
Zudem beantragt die BU, die namentliche Abstimmung über den Antrag.
Fachliche Bewertung
- Gesetzliche Voraussetzungen eines Bürger-/Ratsentscheids
Grundsätzlich ist der Stadtrat das von den Bürgerinnen und Bürgern gewählte Organ und trifft die für die Stadt maßgeblichen Entscheidungen. Die bayerische Gemeindeordnung sieht jedoch vor, dass in bestimmten Fällen auch die Bürgerinnen und Bürger entscheiden können. Entweder, wenn die Bürger selbst einen Bürgerentscheid beantragen (Bürgerbegehren, Art. 18 a Abs. 1 GO) oder wenn der Stadtrat seinerseits beschließt, dass die Bürgerinnen und Bürger über eine bestimmte Angelegenheit entscheiden sollen (Ratsbegehren, Art. 18 a Abs. 2 GO).
Beantragen die Bürgerinnen und Bürger einen Bürgerentscheid, hat der Stadtrat keinen Ermessensspielraum mehr. Wenn die Zulässigkeitsvoraussetzungen (Unterschriften von min. 8% der Gemeindebürger) gegeben sind, muss er den Bürgerentscheid zulassen.
Bei einem Ratsbegehren hingegen, bestimmt der Stadtrat, ob, wann und wie er die BürgerInnen entscheiden lassen möchte.
Die einzige Vorgabe (in beiden Fällen) ist, dass die zur Abstimmung zu stellende Frage dem Sachlichkeitsgebot entsprechen muss und keine eindeutige Abstimmungsempfehlung beinhalten darf. Die von der BU beantragte Fragestellung entspricht diesen Vorgaben, so dass das „Wie“ des beantragten Ratsentscheids nach der Beurteilung der Verwaltung rechtlich nicht zu beanstanden ist.
Somit ist es am Stadtrat zu entscheiden, „ob“ und „wann“ er eine Entscheidung der Bürger möchte.
- Angemessenheit eines Ratsentscheids im vorliegenden Fall
- Anhaltende Kontroverse
Um die Frage der Bebauung der Hinteren Insel (auf dem ehemaligen Parkplatz P5) gibt es seit einiger Zeit erhebliche Kontroversen. Zudem hat sich bereits eine Bürgerinitiative gegründet, die notfalls einen Bürgerentscheid gegen die Bebauung herbeiführen will.
Bürgerentscheide haben in der Vergangenheit leider wiederholt zu einer Polarisierung der Lindauer Bevölkerung geführt. Daher sind andere Instrumente der Bürgerbeteiligung, die dabei helfen, einen gesellschaftlichen Konsens zu erzielen, vorzugswürdig. Allerdings konnte in der Frage der Bebauung der Hinteren Insel bislang im Beteiligungswege kein so weitgehender gesellschaftlicher Konsens erzielt werden, dass nun kein Bürgerbegehren mehr betrieben würde.
- Keine wirksamen alternativen Beilegungsmöglichkeiten
Die vom Stadtrat im Dezember 2021 beschlossene Informations- und Beteiligungskampagne hat lediglich zum Gegenstand, die Hintergründe der bestehenden Beschlusslage zur Hinteren Insel zu erläutern, die Bürger/innen nochmals „mitzunehmen“ und zur Frage der Fassadengestaltung oder Nutzungen zu beteiligen. Zur grundlegenden Frage, ob überhaupt auf der Hinteren Insel gebaut werden soll, werden die Bürgerinnen und Bürger nach diesem Beschluss jedoch nicht beteiligt.
Grundsätzlich wäre denkbar, anstelle eines formalen Bürgerentscheides eine eher informelle Bürgerbefragung durchzuführen, um den Willen der Bürgerinnen und Bürger zu ermitteln (vergleichbar der Bürgerbeteiligung am Karl-Bever-Platz). Allerdings wird eine solche unverbindliche (da in der Gemeindeordnung nicht vorgesehene) Befragung in dieser Streitfrage gegenwärtig wohl nicht mehr ausreichen, um das Bürgerbegehren gegen die Bebauung der Hinteren Insel zu stoppen.
- Weitreichende Grundsatzfrage („Jahrhundertentscheidung“)
Die Entscheidung des Stadtrates, dass die Hintere Insel mit „rund 900 Wohneinheiten für ca. 1.800 neue Einwohner“ bebaut werden soll (s. Rahmenplan, Städtebauliche Entwicklung Hintere Insel Lindau v. 18.11.2019, S. 32), ist eine der weitreichendsten Entscheidung, die der Stadtrat in dieser Amtszeit zu treffen hat. Diese Entscheidung wird Lindau und die Insel jedenfalls für die nächsten 100 Jahre verändern und die Entscheidungsmöglichkeiten nachfolgender Generationen für diese Flächen beschränken.
Aufgrund der Tragweite der Entscheidung und der bereits bestehenden Kontroverse erscheint es klüger, wenn der Stadtrat zeitnah durch einen Ratsentscheid abklären lässt, ob die Lindauerinnen und Lindauer dem Stadtrat in seiner Entscheidung für die Bebauung der Hinteren Insel (P5) mehrheitlich zustimmen oder die Bürgerinnen und Bürger diese Fläche (P5) lieber für andere Zwecke, wie zB einen öffentlichen Park / Grünanlage, nutzen wollen.
- Fazit
Eine Entscheidung durch die Bürgerinnen und Bürger erscheint derzeit unausweichlich. Entweder wird sie von den Bürgerinnen und Bürgern gemäß Art. 18a GO erzwungen oder der Stadtrat wählt von sich aus den Weg, in diesem streitigen Fall nicht über die Bürger zu entscheiden, sondern mit ihnen.
Finanzielle Auswirkungen
Die finanziellen Auswirkungen sind bei einem Ratsbegehren und einem Bürgerbegehren vergleichbar und bestehen vornehmlich im Verwaltungsaufwand sowie den Kosten für die Vorbereitung und den Versand der Wahlunterlagen.
Diskussionsverlauf
Stadtrat Prof. Dr. Schöffel erläutert zu Beginn den Antrag der BU.
Bürgermeister Hotz teilt mit, dass die Frage über einen Ratsentscheid von ihm und der JA mit ja beantwortet wird, aber die Frage muss umformuliert werden. Die Fragestellung ist kontra den Beschlüssen, die der Stadtrat gefasst hat. In ihrer Fragestellung heißt es, dass dieser Parkplatz ausschließlich für eine Bebauung weichen wird. Er wird deshalb in der heutigen Sitzung folgenden Antrag auf eine Änderung der Frage stellen:
„Sind Sie dafür, dass der neu geschaffene Bürgerpark auf der Hinteren Insel unangetastet bleibt und lediglich der aktuelle Parkplatz entsprechend der Altstadt (in Höhe und Kubatur) bebaut wird?“
Er beantragt ebenfalls diesen Ratsentscheid zeitnah am Sonntag, den 18.09.2022, durchzuführen um die Phase der Ungewissheit hinsichtlich der Entwicklung der Hinteren Insel sehr kurz zu halten. Die Begründung zu diesem Ratsentscheid lautet wie folgt:
In den vergangenen Jahren wurde die Hintere Insel nach einer Bürgerbeteiligung für die Gartenschau entwickelt. Hierbei entstanden Wiese, Uferstufen und Sportanlagen, wie ein Skatepark, ein Beachvolleyballfeld, ein Kletterblock und ein Bewegungsparcour.
Die Skateanlage wird nun auf den bisherigen Parkplatzflächen erweitert. All diese Einrichtungen bleiben langfristig erhalten.
Ausschließlich auf den verbleibenden Parkplatzflächen bietet sich nun die Chance, deutlich abgerückt vom Seeufer Wohnraum für Familien und sämtliche Generationen zu schaffen.
Diese reduzierte Bebauung mit 4 Wohnblöcken soll ausschließlich im Bereich des aktuellen Parkplatzes entstehen.
Oberbürgermeisterin Dr. Alfons erklärt, dass nach dieser Antragstellung der Bürgerpark so bleiben soll, wie er ist und die Bebauung auf den Parkplätzen stattfinden soll. Das ist ihrer Meinung nach ein Phantombürgerentscheid, da es ja genau darum geht, ob die Bürgerinnen und Bürger möchten, dass der P5 bebaut. Der Bürgerpark soll ja auf keinen Fall bebaut werden. Zudem hält sie den 18.09.2022 für zu früh, da Ende der Woche schon die Sommerferien beginnen und erst kurz vor dem 18.09.2022 enden.
Stadträtin Rundel hält den von der BU gestellten Antrag für wiedersinnig und nimmt entsprechend Stellung dazu. Sie möchte auch wissen, wer diese Vorlage erstellt hat, denn die kann weder vom Amt 60 noch vom Amt 10 so formuliert worden sein.
Danach folgt eine kontroverse Diskussion durch alle Stadtratsparteien. Stadtrat Brombeiß stellt in seinen Ausführungen einen Antrag auf namentliche Abstimmung.
Stadtrat Bandte stellt den Antrag, dass in die Fragestellung von Bürgermeister Hotz noch das Wort „spekulationsfrei“ aufgenommen wird. Dann könnte diesem Ratsbegehren zugestimmt werden.
Bürgermeister Hotz erklärt, diese Fragestellung wurde vorher rechtlich geprüft und es muss sehr mit Werten und Begriffen aufgepasst werden. Wenn in dieser Fragestellung ein auslegungsbedürftiger Wortlaut ist, dann kann es sein, dass dieser Wortlaut nicht rechtmäßig ist. Aus diesem Grund lehnt er eine Änderung ab.
Oberbürgermeisterin Dr. Alfons erklärt anschließend die Abstimmung. Die erste Abstimmung erfolgt darüber, ob namentlich abgestimmt wird. Die zweite Abstimmung ist darüber, ob der Stadtrat möchte, dass die Bürger grundsätzlich zur Entscheidung aufgerufen werden. Die dritte Abstimmung erfolgt dann zur Fragestellung, hier wird über den Antrag der BU und dann über den Antrag von Bürgermeister Hotz entschieden. Eine weitere Abstimmung muss es zum Zeitpunkt des Ratsbegehrens geben.
Frau Bohnert, Leiterin des Hauptamtes, teilt mit, dass heute auch die Abstimmungsleitung zu diesem Bürgerentscheid beschlossen werden muss.
Oberbürgermeisterin Dr. Alfons weist darauf hin, dass sie, die Hauptamtsleiterin und zahlreiche Stadträte am beantragten Abstimmungstag (18.09.2022) zum Antrittsbesuch in Chelles und damit nicht in Lindau sind, was sie für ungut hält.
Beschluss 1
Der Stadtrat stimmt der namentlichen Abstimmung zu.
Abstimmungsergebnis
Dafür: 28, Dagegen: 0
Beschluss 2
Der Stadtrat stimmt einstimmig, namentlich zu, dass die Bürger grundsätzlich entscheiden sollen.
Abstimmungsergebnis
Dafür: 28, Dagegen: 0
Beschluss 3
Die Verwaltung wird beauftragt, ein Ratsbegehren zu der Frage „Sind Sie dafür, dass auf dem städtischen Gelände der Hinteren Insel (ehemaliger Seeparkplatz P5) ein großzügiger Stadtpark entsteht anstelle der im Rahmenplan vorgesehenen Bebauung?“ vorzubereiten und durchzuführen.
Abstimmungsergebnis
Dafür: 7, Dagegen: 21
Abstimmungsbemerkung
Folgende Stadtratsmitglieder sind für den Beschlussvorschlag:
Stadtrat Dr. Rothfuß, Stadtrat Prof. Dr. Schöffel, Stadtrat Jöckel, Stadtrat Müller, Stadtrat Nüberlin, Stadtrat Freiberg, Oberbürgermeisterin Dr. Alfons.
Folgende Stadtratsmitglieder sind gegen den Beschlussvorschlag:
Stadträtin Sommerweiß, Stadträtin Rundel, Stadtrat Obermayr, Stadtrat Brombeiß, Stadtrat Reich, Stadträtin Norff, Stadträtin Schäfler, Stadtrat Jäger, Stadträtin Dr. Lorenz-Meyer, Stadtrat Strauß, Stadtrat Kaiser, Stadträtin Brombeis, Stadtrat Bandte, Stadtrat Fehrer, Stadtrat Gebhard, Stadtrat Büchele, Stadtrat Dr. Adams, Stadträtin Mayer, Stadtrat Hübler, Stadtrat Krühn, Bürgermeister Hotz.
Beschluss 4
Die Verwaltung wird beauftragt, ein Ratsbegehren zu der Frage „„Sind Sie dafür, dass der neu geschaffene Bürgerpark auf der Hinteren Insel unangetastet bleibt und lediglich der aktuelle Parkplatz entsprechend der Altstadt (in Höhe und Kubatur) bebaut wird?“ vorzubereiten und durchzuführen.
Abstimmungsergebnis
Dafür: 21, Dagegen: 7
Abstimmungsbemerkung
Folgende Stadtratsmitglieder sind für den Beschlussvorschlag:
Stadträtin Sommerweiß, Stadträtin Rundel, Stadtrat Obermayr, Stadtrat Brombeiß, Stadtrat Reich, Stadträtin Norff, Stadträtin Schäfler, Stadtrat Jäger, Stadträtin Dr. Lorenz-Meyer, Stadtrat Strauß, Stadtrat Kaiser, Stadträtin Brombeis, Stadtrat Bandte, Stadtrat Fehrer, Stadtrat Gebhard, Stadtrat Büchele, Stadtrat Dr. Adams, Stadträtin Mayer, Stadtrat Hübler, Stadtrat Krühn, Bürgermeister Hotz.
Folgende Stadtratsmitglieder sind gegen den Beschlussvorschlag:
Stadtrat Dr. Rothfuß, Stadtrat Prof. Dr. Schöffel, Stadtrat Jöckel, Stadtrat Müller, Stadtrat Nüberlin, Stadtrat Freiberg, Oberbürgermeisterin Dr. Alfons.
Beschluss 5
Die Abstimmung soll am 18. September 2022 stattfinden.
Abstimmungsergebnis
Dafür: 15, Dagegen: 13
Abstimmungsbemerkung
Folgende Stadtratsmitglieder sind für den Beschlussvorschlag:
Stadtrat Dr. Rothfuß, Stadträtin Sommerweiß, Stadträtin Rundel, Stadtrat Brombeiß, Stadtrat Reich, Stadträtin Norff, Stadträtin Schäfler, Stadtrat Fehrer, Stadtrat Gebhard, Stadtrat Büchele, Stadtrat Dr. Adams, Stadträtin Mayer, Stadtrat Hübler, Stadtrat Krühn, Bürgermeister Hotz.
Folgende Stadtratsmitglieder sind gegen den Beschlussvorschlag:
Stadtrat Prof. Dr. Schöffel, Stadtrat Obermayr, Stadtrat Jöckel, Stadtrat Müller, Stadtrat Nüberlin, Stadtrat Jäger, Stadträtin Dr. Lorenz-Meyer, Stadtrat Strauß, Stadtrat Kaiser, Stadträtin Brombeis, Stadtrat Bandte, Stadtrat Freiberg, Oberbürgermeisterin Dr. Alfons.
Beschluss 6
Der Stadtrat beschließt, Frau Maucher zur Abstimmungsleiterin zu bestellen. Ihre Stellvertretung wird Herr Steffl.
Abstimmungsergebnis
Dafür: 28, Dagegen: 0
Dokumente
Antrag Rahmenplan HI 07.07.22 (2) (.pdf)
Datenstand vom 16.09.2022 11:19 Uhr