Antrag der SPD-Fraktion in Kooperation mit Lokaler Agenda 21 Seefeld zum generellen Ausschluss fossiler Energieträger in Bebauungsplänen


Daten angezeigt aus Sitzung:  Sitzung des Gemeinderates, 30.06.2020

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.
Gemeinderat Sitzung des Gemeinderates 30.06.2020 ö 10

Sach- und Rechtslage

Die SPD-Fraktion hat in Kooperation mit der Lokalen Agenda 21 Seefeld, Arbeitskreis „Alternative Energien“, folgenden Antrag mit Posteingang vom 04.05.2020 gestellt: 

Antrag

Der Gemeinderat möge beschließen: 

In neuen Bebauungsplänen sowie in Bebauungsplänen in der Änderungsphase wird ein Passus aufgenommen, dass bei neu zu errichtenden Bauten zur Energieerzeugung keine fossilen Energieträger erlaubt sind. Die Energieversorgung kann über PV-Anlagen, WW-Kollektoren, nachwachsende Rohstoffe oder aus mit nicht fossilen Energien betriebenen Fernwärmenetzen erfolgen. 

Begründung 

Die Gemeinde ist Mitglied im Verein Energiewende Landkreis Starnberg (ELS), im Klimapakt des Landkreises und im europaweiten Klimabündnis. Ebenso trägt die Gemeinde den Beschluss des Kreistages von 2005 mit, alles zu unterstützen, was bis 2035 eine CO²freie Energieversorgung ermöglicht. Seit über 20 Jahren fördert die Gemeinde schon erfolgreich private Maßnahmen zur regenerativen Energieerzeugung und zur Reduzierung von Treibhausgasen. 

Das internationale Gremium um Klimawandel (IPCC) hat eindeutige Belege hinsichtlich der Veränderungen vorgelegt. In Bayern sehen wir in den letzten Jahren u.a. deutlich steigende Temperaturen und mehrjährige Trockenperioden. Klimaschutz und somit die Reduzierung der Treibhausgase sind überlebensnotwendig und wichtig! Beispiele von in der Gemeinde errichteten Gebäuden zeigen, dass obige Anforderungen ohne unbillige Härte realisierbar sind. Durch Passivhaus-Bauweise und Bezug zertifizierter regenerativer Energien wird der Ausstoß von Treibhausgasen zusätzlich reduziert. 

Formulierung im Bundesbaugesetz, §9, Absatz 1, 23. b): 
Im Bebauungsplan können aus städtebaulichen Gründen festgesetzt werden: 
23. Gebiete, in denen
b) bei der Errichtung von Gebäuden oder bestimmten sonstigen baulichen Anlagen bestimmte bauliche und sonstige technische Maßnahmen für die Erzeugung, Nutzung oder Speicherung von Strom, Wärme oder Kälte aus erneuerbaren Energien oder Kraft-Wärme-Kopplung getroffen werden müssen,  


Fachliche Stellungnahme der Verwaltung (ablehnend): 

Gesetzliche Grundlage

Verbindliche Festsetzungen können nur dann in einen Bebauungsplan aufgenommen werden, wenn der zu regelnde Sachverhalt im sog. „Festsetzungskatalog“ unter § 9 Abs. 1 BauGB (Baugesetzbuch) aufgelistet ist und somit eine gesetzliche Ermächtigung besteht.

Eine gesetzliche Grundlage für eine Festsetzung zum Ausschluss fossiler Brennstoffe könnte aus § 9 Abs. 1 Nr. 23 BauGB abgeleitet werden. Demzufolge können in Bebauungsplänen Gebiete festgesetzt werden, in denen
a)        zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes bestimmte Luft verunreinigende Stoffe nicht oder nur beschränkt verwendet werden dürfen,
b)         bei der Errichtung von Gebäuden oder bestimmten sonstigen baulichen Anlagen bestimmte bauliche und sonstige technische Maßnahmen für die Erzeugung, Nutzung oder Speicherung von Strom, Wärme oder Kälte aus erneuerbaren Energien oder Kraft-Wärme-Kopplung getroffen werden müssen,
[…]

Anders als in der Begründung zum Antrag erläutert, wäre im gegenwärtigen Fall allerdings nicht § 9 Abs. 1 Nr. 23b BauGB, sondern § 9 Abs. 1 Nr. 23a BauGB als Rechtsgrundlage heranzuziehen (Ausschluss bestimmter luftverunreinigender Stoffe).

Rechtliche Rahmenbedingungen und Voraussetzungen

  • Bestimmtheitsgebot
Jede Festsetzung im Bebauungsplan muss ausreichend genug bestimmt sein, um beim Vollzug der Festsetzung eine zweifelsfreie Umsetzung sicherstellen zu können. Bei der Heranziehung einer Festsetzung, die den Ausschluss fossiler Brennstoffe zum Ziel hat, wäre die Formulierung „fossile Energieträger“ zu allgemein formuliert und müsste konkreter gefasst werden, um alle Zweifel über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit bestimmter Stoffe auszuräumen, z.B.: 
„Im Baugebiet X ist die Verwendung von Erdöl, Erdgas oder Kohle zur Wärme- und Energieversorgung unzulässig.“

  • Rechtfertigung durch städtebauliche Gründe, bodenrechtlicher Bezug
Eine Festsetzung im Bebauungsplan kann nur vorgenommen werden, wenn diese erforderlich ist und durch städtebauliche Gründe gerechtfertigt werden kann. Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 23a) BauGB kann eine Gemeinde zwar den Einsatz bestimmter luftverunreinigender Stoffe verbieten oder deren Einsatz einschränken, jedoch ist hierfür eine konkrete, aus der jeweiligen bodenrechtlichen Situation abgeleitete städtebauliche Rechtfertigung erforderlich. Ein solcher Grund könnte z.B. die Nähe eines Kur-, Erholungs- oder Klinikgebietes oder der Schutz von Hang- und Tallagen sein. Ein allgemeiner Hinweis auf den Klimaschutz und grundsätzliche umweltpolitische Erwägungen sind stets nicht ausreichend, um ein Verbot fossiler Brennstoffe in einem Bebauungsplan zu rechtfertigen.

  • Verhältnismäßigkeitsprinzip
Neben der ausreichenden Bestimmtheit und der städtebaulichen Rechtfertigung muss eine Festsetzung auch verhältnismäßig sein, d.h. die Vorgabe muss für den beabsichtigten Zweck geeignet, durchführbar und angemessen sein.         Im gegenwärtigen Fall müssten demnach geeignete alternative Möglichkeiten für die Wärmeversorgung bestehen (z.B. möglicher Anschluss an ein bestehendes Nahwärmenetz, ausreichende Besonnung für Warmwasserkollektoren). Darüber hinaus müssten diese Maßnahmen auch in wirtschaftlicher Hinsicht für den Bauherrn zumutbar sein. Um dies abschätzen zu können, bedarf es einer sorgfältigen einzelfallbezogenen Ermittlung der voraussichtlichen wirtschaftlichen Belastungen.

  • Bestehende Baugebiete, Bestandsschutz
Bestehenden Anlagen, die rechtmäßig genehmigt wurden, kommt stets Bestandsschutz zu. Bei der Überplanung bereits vorhandener Baugebiete wären bestehende Altanlagen daher von einem Verbot bestimmter luftverunreinigender Stoffe in jedem Falle ausgenommen. 
Inwiefern eine Festsetzung zum Verbot fossiler Brennstoffe im Falle von Umbauten, Neubauten oder wesentlichen Erweiterungen in Bestandsgebieten möglich und rechtlich haltbar ist, muss hinterfragt werden. Insbesondere wenn in Bestandsgebieten entsprechende Versorgungsstrukturen bereits bestehen (z.B. Gasnetz) und diese sich dort etabliert haben scheint die Rechtfertigung für ein Verbot unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit schwierig.
Davon abgesehen kommt es bei Festsetzungen, die vom genehmigten Bestand abweichen und damit Bestandsschutzfälle auslösen, regelmäßig zu rechtlichen Schwierigkeiten, Spannungen und unabsehbaren Härtefällen.

Alternative Reglementierungsmöglichkeiten

  • Vorhabenbezogene Bebauungspläne
Einen wesentlich größeren Festsetzungsspielraum liefern vorhabenbezogene Bebauungspläne gemäß § 12 BauGB. Anders als bei klassischen Angebotsbebauungsplänen sind vorhabenbezogene Bebauungspläne nicht an den Festsetzungskatalog gemäß § 9 BauGB gebunden, d.h. hier können auch Festlegungen getroffen werden, die nicht explizit in § 9 BauGB aufgeführt sind. Zusätzliche Vereinbarungen können zudem im sog. Durchführungsvertrag aufgenommen werden, der als Bestandteil eines vorhabenbezogenen Bebauungsplanes zwischen Gemeinde und Vorhabenträger stets mit abzuschließen ist.
Wie es die Bezeichnung bereits besagt, ist die Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplanes allerdings stets mit einem konkreten Projekt eines Vorhabenträgers verbunden. Der Vorhabenträger muss dabei zur Umsetzung des Vorhabens bereit und in der Lage sein und er muss sich zur Durchführung des Projektes innerhalb einer bestimmten Frist verpflichten.

  • Vertragliche Regelung
Beim Verkauf gemeindlicher Baugrundstücke liefert der Kaufvertrag wohl die beste Möglichkeit und das rechtssicherste Instrument, ein Verbot fossiler Brennstoffe vorzuschreiben.
Sofern es sich nicht um Grundstücke in öffentlicher Hand handelt, kann alternativ hierzu mit den entsprechenden Grundstückseigentümern auch ein städtebaulicher Vertrag im Vorfeld der Bauleitplanung abgeschlossen werden. Allerdings sind auch hier gewisse rechtliche Anforderungen wie die Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit eines Verbots fossiler Brennstoffe zu erfüllen.
Für die Durchsetzung eines Anschluss- und Benutzungszwangs (z.B. an ein gemeindliches Nahwärmenetz) ist im Übrigen ebenfalls der Weg über einen städtebaulichen Vertrag die beste Option. Die Festsetzung auf Ebene der Bauleitplanung wäre in jedem Falle unzulässig.

  • Verordnung gemäß BayImSchG
Gemäß Art. 7 BayImSchG können Gemeinden durch Rechtsverordnung zum Schutz vor schädlichen Einwirkungen durch Luftverunreinigungen die Errichtung und den Betrieb von Anlagen sowie die Verwendung bestimmter Brennstoffe verbieten oder beschränken.
Diese Rechtsgrundlage wurde nach aktuellem Kenntnisstand für allgemeine Klimaschutzzwecke jedoch noch nicht eingesetzt. Ob allgemeine energiepolitische Erwägungen ausreichend sind, um eine entsprechende kommunale Verordnung zu erlassen, ist fraglich und in der Rechtsprechung noch nicht entschieden.
Der Vorteil gegenüber einem Verbot auf Ebene der Bauleitplanung ist allerdings, dass im Falle eines möglichen Rechtsstreits eine entsprechende Rechtsverordnung zwar ggf. gekippt werden könnte, ein Bebauungsplan, der auf diese Rechtsverordnung lediglich verweist, jedoch weiterhin Bestand hätte.

  • Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für regenerative Energien
Als rechtlich unbedenklich und mittlerweile Standard gelten die gängigen Festsetzungsmöglichkeiten zum Umwelt- und Klimaschutz, die auf die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für regenerative Energien abzielen. Hierzu zählt z.B. die optimale Ausrichtung der Gebäude für die Ausnutzung von Solarenergie, die Vermeidung von Verschattung, energieeffiziente kompakte Bauformen (gutes A/V-Verhältnis), ausdrückliche Zulässigkeit baulicher Vorkehrungen für regenerative Energieformen usw.

Fazit

Eine Festsetzung zum Verbot fossiler Brennstoffe ist unter Berufung auf § 9 Abs. 1 Nr. 23a BauGB zwar theoretisch möglich, jedoch muss die Festsetzung ausreichend bestimmt, städtebaulich erforderlich und begründbar sowie verhältnismäßig sein.

Ein genereller Beschluss, in allen zukünftigen Baugebieten ein derartiges Verbot festzusetzen, ist grundsätzlich nicht möglich, da im jeweiligen Einzelfall sorgfältig und nachvollziehbar abgewogen werden muss, ob eine solche Festsetzung die o.g. gesetzlichen Anforderungen erfüllt.

Bei bestehenden Baugebieten ist aufgrund der rechtlichen Unwägbarkeiten und abzusehenden Spannungen von einer Festsetzung zum Ausschluss fossiler Energieträger generell abzuraten.

Grundsätzlich wird empfohlen, von der Festsetzungsmöglichkeit gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 23a BauGB keinen Gebrauch zu machen, sondern stattdessen lieber auf die aufgeführten alternativen Regelungsmöglichkeiten zurückzugreifen (vorhabenbezogene Bebauungspläne, Verträge, ggf. Verordnung) bzw. statt eines strikten Verbotes die rechtlich unbedenklichen  Festsetzungsmöglichkeiten zum Umwelt- und Klimaschutz konsequent zu nutzen (Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für regenerative Energien).

Sitzungsverlauf

Die Verwaltung erläutert, dass ein Grundsatzbeschluss, der die regelmäßige Aufnahme einer Festsetzung zum Ausschluss fossiler Energieträger ohne konkrete Einzelfallprüfung vorsieht, einen Planungsfehler (Abwägungsausfall) darstelle und somit nicht möglich ist. 
Aufgrund der hohen rechtlichen Anforderungen und der damit verbundenen Problematiken, die eine verbindliche Festsetzung auch im geprüften Einzelfall mit sich bringe, werde zudem empfohlen, den Ausschluss fossiler Energieträger entweder nur als textlichen Hinweis in den Bebauungsplan aufzunehmen oder bei gewünschter höherer Verbindlichkeit die alternativ aufgezeigten Möglichkeiten (z.B. vertragliche Regelungen) bevorzugt heranzuziehen.

Herr Deiringer vom Agenda 21 Arbeitskreis „Alternative Energien“ bittet das Gremium, eine Stellungnahme abgeben zu dürfen. Der Gemeinderat stimmt dem einstimmig zu. 
Herr Deiringer führt allgemein aus, welche Wichtigkeit die Einhaltung der klimapolitischen Ziele besitzt und welche Verantwortung die Gemeinde in diesem Zusammenhang trägt. Ein alternativer Beschlussvorschlag, der im Wesentlichen auf die Ausschöpfung der alternativen rechtlichen Möglichkeiten zum verbindlichen Ausschluss fossiler Energieträger abzielt, wird vorgebracht. 

Das Gremium folgt der Ansicht, dass ein Grundsatzbeschluss ohne Einzelfallprüfung nicht gefasst werden kann. Eine höhere Verbindlichkeit beim Verzicht fossiler Energieträger, die nicht nur empfehlenden Charakter besitzt, wird jedoch gewünscht. Die Gemeinde könne hier eine Vorreiterrolle einnehmen und sollte daher prüfen, welche rechtlich unbedenklichen Möglichkeiten im jeweiligen Einzelfall zur Verfügung stehen und ob ggf. auch ein Pilotprojekt mit verbindlichen Festsetzungen auf Bebauungsplanebene durchgeführt werden könne. 

Aufgrund der Komplexität des Themas soll die Beschlussfassung auf eine der nächsten Sitzungen verschoben werden. Ein rechtlich geeigneter alternativer Beschlussvorschlag, der die geäußerten Wünsche des Gemeinderates sowie den neuen Vorschlag des Agenda Arbeitskreises „Alternative Energien“ aufgreift, soll vorbereitet werden. 

Beschluss

Die Beschlussfassung wird auf eine der nächsten Sitzungen vertagt. Die Verwaltung wird beauftragt, einen geeigneten alternativen Beschlussvorschlag vorzubereiten.

Abstimmungsergebnis
Dafür: 19, Dagegen: 0

Datenstand vom 17.10.2022 10:18 Uhr