Antrag der Fraktion Freie Wählergemeinschaft Seefeld: Erlass einer Veränderungssperre und Aufstellung eines Bebauungsplanes für den Bereich Mühlbachstraße 20, Seefeld


Daten angezeigt aus Sitzung:  Sitzung des Gemeinderates, 26.10.2021

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.
Gemeinderat Sitzung des Gemeinderates 26.10.2021 ö 9

Sach- und Rechtslage

Mit Schreiben vom 30.09.2021 hat die Freie Wählergemeinschaft folgenden Antrag bei der Gemeindeverwaltung eingereicht:

Antrag der freien Wählergemeinschaft Seefeld vom 30.09.2021

Sehr geehrte Damen und Herren,

Im Namen der Freien Wähler Gemeinschaft Seefeld stelle ich hiermit den Antrag, die schon bislang stets nur gewerblich genutzte Fläche zwischen dem Jugendhaus und dem Sportplatz in Seefeld, auf der bislang die Firma Vistec angesiedelt war, so schnell wie möglich mit einer Veränderungssperre zu belegen.

Begründung:
Die Fläche war bislang stets als Gewerbefläche ausgewiesen und beheimatete früher die Firma des Herrn Doktor Seitner, der das heute noch bestehende Gebäude auch erbauen ließ.
Seine Nachfolge in der Nutzung war dann nach gewerblicher Zwischennutzung durch Dritte, zuletzt die Firma Vistec.
Da die Gemeinde Seefeld ohnehin nur knappe Gewerbeflächen zur Verfügung hat, sollte die Ausweisung als Gewerbefläche bestehen bleiben und planungsrechtlich gefestigt werden, zumal es auch eine ganze Reihe von Interessenten aus dem gewerblichen Bereich gibt.
Um zu verhindern, dass in der Zwischenzeit eine andere Nutzung auf diesem Grundstück erfolgt, zum Beispiel Wohnen, soll das Planungsrecht Gemeinde Seefeld gewahrt werden.
Für den Erlass einer Veränderungssperre ist notwendig, dass die Gemeinde ihre zukünftigen Planungsabsichten zumindest dem Grunde nach festgelegt hat, deshalb wird weiter beantragt, dass ein Aufstellungsbeschluss zu einem Bebauungsplan für das Grundstück mit gewerblicher Nutzung zuvor gefasst wird.

Mit freundlichen Grüßen
Petra Gum
Freie Wählergemeinschaft Seefeld


Stellungnahme der Verwaltung

Bauplanungs- und bauordnungsrechtliche Ausgangssituation

Das Grundstück Mühlbachstraße 20, Flur Nr. 424/3 der Gemarkung Oberalting-Seefeld, ist im rechtswirksamen Flächennutzungsplan der Gemeinde Seefeld nicht als Gewerbefläche, sondern als Mischgebietsfläche ausgewiesen. Ein Bebauungsplan existiert in diesem Bereich nicht. 

Das Grundstück befindet sich im sog. Innenbereich gemäß § 34 BauGB. Ein Bauvorhaben ist dort zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. 

Gemäß den Darstellungen des Flächennutzungsplanes entspricht die Eigenart der näheren Umgebung der Gebietskategorie eines Mischgebietes. Ein Mischgebiet dient gemäß § 6 BauNVO dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Folglich sind auf dem Grundstück sowohl Wohnnutzungen als auch (das Wohnen nicht wesentlich störende) gewerbliche Nutzungen grundsätzlich zulässig. 

Gleiches gilt für das benachbarte Grundstück Flur Nr. 424/1 der Gemarkung Oberalting-Seefeld, das sich im Eigentum derselben Grundstücksbesitzer befindet und derzeit als gewerbliche Lagerfläche genutzt wird. 

Für das Grundstück Mühlbachstraße 20, Flur Nr. 424/3 der Gemarkung Oberalting-Seefeld, liegen mehrere Baugenehmigungen für Betriebsgebäude mit Büro- und Lagernutzungen, aber auch für eine Dachgeschosswohnung in einem der Bestandsgebäude vor. Insofern ist bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine Mischnutzung vorhanden bzw. genehmigt. Für die Unterbringung weiterer Wohnflächen wäre allerdings eine neue Baugenehmigung (Nutzungsänderung) voraussetzend und müsste beantragt werden.

Nichterfüllung der rechtlichen Anforderungen an den Erlass einer Veränderungssperre

Für den rechtskonformen Erlass einer Veränderungssperre gemäß § 14 BauGB ist voraussetzend, dass ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplanes gefasst wurde. Die Planung muss zu diesem Zeitpunkt soweit konkretisiert sein, dass die wesentlichen städtebaulichen Ziele ersichtlich sind und somit die Erforderlichkeit der Planungssicherung nachvollzogen werden kann. Hierfür muss als sogenanntes planerisches Minimum zumindest die Art der baulichen Nutzung (Gebietskategorie) feststehen und es muss ein Sicherungsbedürfnis, d.h. eine abstrakte Gefährdung der beabsichtigten Planung gegeben sein. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass eine nur vorgeschobene Planung zur Verhinderung anderer Nutzungen unzulässig ist.  

Im gegenwärtigen Fall sind weder die Planungsabsichten der Eigentümer noch die Planungsziele der Gemeinde hinreichend bekannt oder festgelegt, um daraus ein tatsächliches Sicherungsbedürfnis ableiten zu können, das den Erlass einer Veränderungssperre zum jetzigen Zeitpunkt rechtfertigen würde. Solange keine konkreten Schritte seitens der Eigentümer eingeleitet worden sind (z.B. über eine Bauvoranfrage oder einen Bauantrag) und solange kein Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan mit hinreichend bekannten Planungszielen vorliegt, ist die Erforderlichkeit und damit auch die Rechtmäßigkeit des Erlasses einer Veränderungssperre nicht gegeben. 

Rechtliche Bedenken und mögliche Konfliktpunkte bei Aufstellung eines Bebauungsplanes

Erforderlichkeit und städtebauliche Begründung

Bebauungspläne sind aufzustellen, soweit sie für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich sind (§ 1 Abs. 2 BauGB). Die Planung muss städtebaulich begründbar sein.

Im gegenständlichen Fall ist fraglich, ob dem Erforderlichkeitsgebot Rechnung getragen und die beabsichtigte Planung städtebaulich begründet werden kann. 

Das Grundstück befindet sich im Privateigentum. Sollte der Eigentümer auf seinem Grundstück eine Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten auf gewerbliche Zwecke ablehnen, steht das Grundstück für diese Nutzung praktisch nicht zur Verfügung. Damit ist die Planung nicht umsetzbar, wodurch wiederum die Erforderlichkeit der Planung als nicht gegeben anzusehen ist. Das Planungsziel wäre nur zu erreichen, wenn der Eigentümer selbst ein entsprechendes Vermarktungsinteresse hätte oder die Gemeinde über das Grundstück verfügen würde. 

Auch mangelt es an einer ausreichenden städtebaulichen Begründung. Haushaltspolitische Erwägungen wie z.B. Gewerbesteuereinnahmen können hier nicht herangezogen werden. Denkbar wäre, die bestehende Gemengelage und die damit ggf. verbundenen Immissionsschutzprobleme als Begründung für eine erforderliche (städtebauliche) Ordnung in Erwägung zu ziehen. Eine Festsetzung als Gewerbegebietsfläche könnte hier aber eher kontraproduktiv sein und die Situation sogar verschärfen (s.u.). Die kürzlich erst für das gesamte Gemeindegebiet durchgeführten Untersuchungen zur Konzeptionierung möglicher Gewerbeflächenerweiterungen hat den gegenständlichen Bereich zudem (berechtigterweise) nicht als möglichen Erweiterungs- oder Ergänzungsstandort für Gewerbe identifiziert.  

Umgriff des Bebauungsplangebietes

Die Aufstellung eines nicht vorhabenbezogenen Bebauungsplanes für nur ein oder zwei kleinere Grundstücke (Flur Nrn. 424/1 und 424/3) ist rechtlich äußerst bedenklich. Ein derartiger „Briefmarkenbebauungsplan“, der zumal kein „positives“ Ziel vorsieht, sondern nur einen ordnenden Charakter aufweist, kann kaum begründet werden und trägt deutliche Züge einer rechtlich unzulässigen Verhinderungsplanung.    

Stattdessen müssten Grundstücke mit gleicher Problemlage und städtebaulicher Zielsetzung zusammengefasst und in den Bebauungsplan integriert werden. Andernfalls ließe sich der mögliche Vorwurf einer Verhinderungsplanung kaum widerlegen. Je nach städtebaulicher Zielsetzung des Bebauungsplanes wären im gegenwärtigen Fall z.B. die nordwestlich angrenzenden Mischgebietsgrundstücke Mühlbachstraße 22, 22a und 22b (ähnliche Immissionsschutzproblematik) und/oder die ebenfalls unbeplanten Grundstücksflächen südlich der Mühlbachstraße mit einzubeziehen.

In der Folge wäre aber wiederum kaum zu begründen, warum trotz ähnlicher Problemlage und derzeitiger Flächennutzungsplanausweisung als Mischgebiet nur auf dem Grundstück Mühlbachstraße 20 eine Nutzungsreduzierung auf Gewerbe und ein Ausschluss von Wohnnutzung erfolgen soll, während sie auf den unmittelbar benachbarten Grundstücken weiterhin zulässig ist (und angesichts der Genehmigungs- bzw. de-facto-Situation auch zulässig bleiben muss).

Art der baulichen Nutzung

Städtebaulich betrachtet bietet sich im vorliegenden Fall eher die Festsetzung eines Wohngebietes als die eines Gewerbegebietes an, da das Grundstück unter Ausnahme der nördlich angrenzenden Sportflächen und des südlich der Mühlbachstraße befindlichen Jugendhauses von faktischer Wohnbebauung (teilweise als Mischgebiet deklariert) umgeben ist.    

Die Festsetzung eines Gewerbegebietes könnte aus immissionsschutzrechtlichen Gründen nur als sog. eingeschränktes Gewerbegebiet in Erwägung gezogen werden („das Wohnen nicht wesentlich störend“). Dies ist jedoch nicht vereinbar mit den bestehenden Wohneinheiten im Bereich der angrenzenden und mit einzubeziehenden Grundstücke sowie der genehmigten Wohnnutzung (Dachgeschosswohnung) auf dem Grundstück Mühlbachstraße 20 selbst. 

Die Festsetzung eines Mischgebiets auf Bebauungsplanebene setzt ein ausgewogenes qualitatives und quantitatives Mischungsverhältnis von Wohnen und Gewerbe voraus. Dies ist im vorliegenden Fall nicht gegeben (zu starkes Gewicht der Wohnnutzung bei nur einem oder zwei gewerblich genutzten Grundstücken, keine qualitative Durchmischung).   

Immissionsschutz

Das gegenständliche Grundstück befindet sich in einer Gemengelage mit unterschiedlichen Nutzungen auf engem Raum (Wohnen, Sportflächen, Mischgebiet, Sondergebiet gewerblicher Prägung). Durch die Ausweisung neuer Gewerbeflächen, zumal auf ein oder zwei Flurstücke begrenzt, würde sich diese Gemengelage noch weiter verschärfen. 

Es ist davon auszugehen, dass eine immissionsschutzfachliche Untersuchung im Zuge eines Bauleitplanverfahrens nicht zu vermeiden ist. Hierbei kann nicht abgeschätzt werden, inwiefern die Ausweisung gewerblicher Flächen in unmittelbarer Nachbarschaft von Wohnbauflächen überhaupt möglich ist. 

Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass infolge der Untersuchungen immissionsschutzrechtliche Probleme und Nutzungskonflikte zu Tage treten, die bislang noch nicht bekannt sind oder noch nicht festgestellt wurden. Neue Einschränkungen oder Schutzmaßnahmen für bestehende benachbarte Nutzungen mit immissionsschutzfachlichem Konfliktpotential (Sportflächen, Jugendhaus, Holzhandelsbetrieb und Sägewerk) könnten unter Umständen die Folge sein.    

Eingriff in Privateigentum, möglicher Planungsschaden

Für das gegenständliche Grundstück existiert bereits eine Genehmigung zur Errichtung einer Dachgeschosswohnung in einem der Bestandsgebäude. Darüber hinaus bestehen die grundsätzlichen baurechtlichen Voraussetzungen für die Unterbringung oder Neuerrichtung weiterer Wohnnutzungen, sofern ein entsprechender Bauantrag gestellt und alle bauordnungsrechtlichen Vorgaben erfüllt werden können. 

Sollte nun ein Bebauungsplan aufgestellt werden, der die ausschließliche gewerbliche Nutzung vorschreibt, wäre dies ein starker Eingriff in Privateigentum, der die Gemeinde voraussichtlich schadenersatzpflichtig machen könnte (sog. Planungsschaden). 

Des Weiteren sind bei der Aufstellung von Bebauungsplänen die öffentlichen und privaten Belange gerecht unter- und gegeneinander abzuwägen. Bei dem beschriebenen starken Eingriff in das Privateigentum erscheint es zweifelhaft, ob ausreichend schwerwiegende öffentliche Gründe herangeführt werden können, die einen solchen Eingriff rechtfertigen würden.

Verfahren

Die Heranziehung des beschleunigten Verfahrens gemäß § 13a BauGB („Bebauungsplan der Innenentwicklung“) erscheint im vorliegenden Fall nicht möglich, da es sich nicht um einen Bebauungsplan mit vordergründiger Entwicklungsfunktion handelt. Stattdessen steht der Ordnungsaspekt mit Beschränkung auf nur eine Art der baulichen Nutzung (Gewerbe) im Vordergrund. Folglich müsste der Bebauungsplan im Regelverfahren aufgestellt werden. 

Da der betreffende Bereich im rechtswirksamen Flächennutzungsplan als Mischgebietsfläche ausgewiesen ist und der Bebauungsplan, der eine ausschließliche gewerbliche Nutzung vorsehen würde, nicht gemäß § 8 Abs. 2 BauGB aus dem Flächennutzungsplan entwickelt werden könnte, müsste der Flächennutzungsplan im Parallelverfahren geändert werden. 

Eine Flächennutzungsplanänderung bedarf gemäß § 6 Abs. 1 BauGB der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde (Landratsamt Starnberg). Ob die o.g. Problempunkte in ausreichendem Maße gelöst werden können, um eine Genehmigungsfähigkeit der Flächennutzungsplanänderung zu erzielen, erscheint zumindest fraglich.

Empfehlung der Verwaltung

Aufgrund der erheblichen rechtlichen Bedenken, der zahlreichen Konfliktpunkte und offenen Fragestellungen wird von Seiten der Verwaltung ausdrücklich davon abgeraten, im gegenwärtigen Fall einen Bebauungsplan aufzustellen und eine Veränderungssperre zu erlassen.

Sobald die konkreten Absichten der Eigentümer über die zukünftige Entwicklung des Grundstücks feststehen oder bekannt sind (z.B. durch Vorlage eines Bauantrags), besteht seitens der Gemeinde immer noch die Möglichkeit zu reagieren. Auch wird empfohlen, vor weiteren konkreten Schritten nochmals den Kontakt zu den Eigentümern zu suchen. 

Sitzungsverlauf

Herr Bgm. Kögel schlägt vor, diesen Top abzusetzen, um Spannungen bei den Gesprächen mit den Eigentümern zu vermeiden.
Das Gremium möchte den Antrag zumindest diskutieren. Der Vorschlag wird abgelehnt.

Die Verwaltung erläutert die rechtlichen Risiken, die mit dem Erlass einer Veränderungssperre und der Aufstellung eines Bebauungsplanes verbunden wären und empfiehlt stattdessen mit den Grundstückseigentümern weiterhin in Kontakt zu bleiben und eine einvernehmliche Lösung für die zukünftige Nutzung des Grundstücks zu finden. 
 
Die FWG / GRin Gum legt die Beweggründe für den Antrag dar: Gewerbe sei wichtig für die Gemeinde und an dieser Stelle schon immer vorhanden gewesen. Daher sollte die gewerbliche Nutzung dort auch weiterhin erhalten bleiben. Der Antrag solle letztlich auch Anregung zur Aufnahme von Gesprächen mit den Eigentümern sein. 

Grundsätzlich besteht im Gremium Einvernehmen, dass die gewerbliche Nutzung auf dem Grundstück so weit als möglich erhalten werden sollte. Der Erlass einer Veränderungssperre wird aufgrund der Risiken aber mehrheitlich als nicht zielführend erachtet. Stattdessen soll das Gespräch mit den Eigentümern gesucht werden. 

GR Wastian nimmt im Namen der FWG den Antrag zurück.

Datenstand vom 17.10.2022 10:51 Uhr