In der Sache wird auf die Sitzung des Technischen Ausschusses vom 07.07.2020, TOP 1, öffentlich, verwiesen. Es wurde folgender Beschluss gefasst:
Der Technische Ausschuss erteilt dem Vorhaben wegen Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 11 Wohneinheiten mit einer Tiefgarage und eines Gartenhauses mit drei weiteren Wohneinheiten auf dem Grundstück FlNr. 237, Gemarkung Ebersberg, Sieghartstraße 20 in der Fassung vom 07.07.2020 und den heute vorgetragenen Anregungen das gemeindliche Einvernehmen.
Abstimmungsergebnis: 10: 1
Mit Bescheid vom 15.09.2020, Az. B-2020-1612, genehmigte die Bauaufsichtsbehörde beim LRA Ebersberg das Bauvorhaben. Nach Informationen der Stadt ist mittlerweile eine Nachbarklage anhängig.
Gegenstand der heutigen Beratung ist der Abweichungsantrag von den Abstandsflächen für das
o. g., bereits genehmigte Bauvorhaben.
Grundsätzlich wäre für die Entscheidung über Abweichungen von den Abstandsflächen das Landratsamt als Bauaufsichtsbehörde allein zuständig. Nachdem jedoch die Stadt Ebersberg eine Satzung über die abweichenden Maße der Abstandsflächentiefe vom 12.01.2021 erlassen hat, ist daneben auch über die Abweichung von der Satzung (städtebauliche Satzung gem. Art. 81 Abs. 1 Nr. 6 lit a) BayBO) zu entscheiden. Hierfür ist gem. Art. 63 Abs. 3 Satz 2 BayBO das Einvernehmen der Stadt erforderlich.
Durch den Abweichungsantrag werden keine neuen bauplanungsrechtlichen Fragen aufgeworfen, da das Bauvorhaben durch die Stadt mit o. g. Beschluss abschließend behandelt und vom LRA bereits genehmigt wurde. Der Abweichungsantrag bzw. die Entscheidung über die Abweichung von den Abstandsflächen ergibt sich aus dem Umstand, dass in der ausgesprochenen Baugenehmigung dieser Punkt nicht explizit angesprochen wurde. Das Landratsamt ging wegen der einheitlich abweichenden Abstandsflächentiefen in der näheren Umgebung von diffuser Bauweise aus, wonach gem. Art. 6 Abs. 5 Satz 4 BayBO die Sätze 1 und 2 des Art. 6 Abs. 5 BayBO nicht anwendbar sind.
Hinzu kommt, dass die Stadt mittlerweile o. g. Satzung erlassen hat und somit die Frage der Abweichung von den Abstandsflächen nach den aktuellen Grundlagen zu beurteilen ist. Eine Änderung der Sachlage ist jedoch nicht eingetreten.
Der Punkt wurde nach Versand der Ladung aufgenommen. Dies ist nach der Geschäftsordnung für den Stadtrat der Stadt Ebersberg gemäß § 25 Abs. 2 Nr. 1 GeschO zulässig. Die Dringlichkeit ist gegeben, da das Landratsamt Ebersberg gegenüber dem VG München sich bis Ende März zur Klage äußern muss. Eine Behandlung im April 2021 war daher nicht möglich.
Es werden folgende Abweichungen beantragt:
1. Hauptgebäude:
Die vor der Nordfassade liegende Abstandsfläche (1 H) überschreitet die Straßenmitte und fällt auf das gegenüberliegende Grundstück mit der FINr. 310/3. Es ist damit eine Abweichung von Art. 6 Abs. 2 S. 1 und 2 BayBO erforderlich.
Auch an der Westseite kann die Abstandsfläche (1 H) nicht eingehalten werden, da die Abstandsfläche teilweise auf dem westlich angrenzenden Nachbargrundstück mit der FINr.
233/2 zu liegen kommt. Es ist daher die Erteilung einer Abweichung von Art. 6 Abs. 2 S. 1
BayBO notwendig.
Die Abstandsfläche vor der Südfassade des Vorhabens überdeckt im östlichen Bereich (teilweise) die entsprechend dinglicher Abstandsflächenübernahme auf dem Baugrundstück liegende Abstandsfläche der Westfassade des Anwesens lgnaz-Perner-Straße 9a. Hier ist die Erteilung einer Abweichung von Art. 6 Abs. 3 BayBO notwendig.
Auch die Abstandsfläche vor der östlichen Außenwand des Vorhabens überdeckt teilweise
an 2 Stellen diejenige Abstandsfläche des Anwesens lgnaz-Perner-Straße 9 a, welche sich aufgrund der dinglichen Abstandsflächenübernahme auf dem Baugrundstück befindet. Auch hier ist die Erteilung einer Abweichung von Art. 6 Abs. 3 BayBO erforderlich, damit es zu keiner Überdeckung/Überlappung von Abstandsflächen kommt. Zudem liegt ein kleiner Teil der Abstandsfläche der östlichen Außenwand auch auf dem Grundstück FINr. 236. Insoweit ist daher die Erteilung einer Abweichung von Art. 6 Abs. 2 S. 1 BayBO notwendig.
2. Gartenhaus:
Die Abstandsfläche vor der Nordseite liegt teilweise auf dem Nachbargrundstück mit der
FINr. 233/2. Insoweit ist die Erteilung einer Abweichung von Art. 6 Abs. 2 S. 1 BayBO not-
wendig.
Die Abstandsfläche vor der Westseite dieses Anwesens liegt teilweise auf den sich westlich anschließender Nachbargrundstücke mit den FINrn. 233/2, 233, 234/2, 239/2 und 238/3. Auch hier ist die Erteilung einer Abweichung von Art. 6 Abs. 2 S. 1 BayBO notwendig.
Die Abstandsfläche vor der südlichen Außenwand des Gartenhauses fällt teilweise auf das
Nachbargrundstück mit der FINr. 237/4. Auch hier die Erteilung einer Abweichung von Art. 6 Abs. 2 S. 1 BayBO notwendig.
Die Abstandsfläche vor der östlichen Außenwand des Gartenhauses liegt teilweise auf dem Nachbargrundstück mit der FINr. 236. Hier ist die Erteilung einer Abweichung von Art. 6 Abs. 2 S. 1 BayBO notwendig.
Die Erteilung der Abweichungen ist rechtlich begründet. Bei der maßgebenden Umgebungsbebauung (Geviert Sieghartstraße/lgnaz-Perner-Straße/Augustinerstraße) handelt es sich um einen Teil der Altstadt der Stadt Ebersberg, in dem im Bestand eine Bebauung vorzufinden ist, die in vielfältiger Art und Weise die aktuell gültigen Abstandsflächenvorschriften missachtet.
Dies gilt namentlich für die Bebauung auf dem unmittelbar westlich angrenzenden Grundstück mit der FINr. 233/2, aber auch für zahlreiche weitere Grundstücke im Geviert (FINrn. 233, 233/4, 233/3, 238/2, 238, 239, 237 und 237/4). Auch das östlich angrenzende Grundstück mit der FINr.
236 hält im Bereich der westlichen Außenwand des Anwesens lgnaz-Perner-Straße 9 die
Abstandsflächen offenbar nicht ein. Zur Bestandssituation, in der teilweise nicht einmal die
reduzierten Abstandsflächen eines Kerngebiets eingehalten sind, wird auch auf die
städtebauliche Begutachtung des Bauvorhabens durch das Architekturbüro Salm & Stegen (vgl. S. 14), das im Auftrag der Stadt Ebersberg im Zuge des vorangegangenen Bauantragsverfahrens angefertigt wurde verwiesen. In solchen Konstellationen ist die Rechtsprechung in der Vergangenheit stets vom Vorliegen einer sog. Atypik ausgegangen, die es ermöglicht, Abweichungen von der Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften zu erteilen. Tatsächlich wurde auch seitens des Landratsamtes in der Vergangenheit in der näheren Umgebung die Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften nicht gefordert. Zwar ist zwischenzeitlich das von der Rechtsprechung geforderte Erfordernis das Atypik für die Erteilung von Abweichungen von der Einhaltung der Abstandflächenvorschriften ohnehin entfallen (vgl. die Vorschrift des Art. 6 Abs. 4 S. 1 BayBO, die durch Gesetz zur Änderung der Bayer. Bauordnung vom 10.07.2018 eingefügt wurde). Das trotz dieser Gesetzesänderung von Teilender Rechtsprechung nach wie vor verlangte Erfordernis der Atypik für die Erteilung einer Abweichung von der Einhaltung Abstandsflächenvorschriften ist vorliegend jedoch aufgrund der Besonderheit der Bebauung im maßgebenden Geviert gleichwohl gegeben.
Zur Lage der Abstandsflächen insgesamt verweisen wir auf die beiliegende Karte.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der sich aus dem Abstandsflächenrecht erge-
bende Mindestabstand von 3,0 m vom Bauvorhaben überwiegend eingehalten werden kann.
Sofern dies ausnahmsweise im Bereich der nordwestlichen Ecke des Gartenhauses nicht
der Fall ist, treten dadurch keine Beeinträchtigungen der vom Abstandsflächenrecht besonders geschützten Belange (Besonnung, Belüftung, Belichtung und sozialer Wohnfriede) ein.
Im Übrigen befindet sich an dieser Stelle ohnehin das vollständig grenzständig errichtete Nebengebäude des Anwesens auf FINr. 233/2, welches über keinerlei Belichtungs-/Belüftungseinrichtungen in seiner Süd- und Ostfassade verfügt.
Nachdem, wie ausgeführt, in der näheren Umgebung einheitlich abweichende Abstandsflächentiefen anzutreffen sind, können die beantragten Abweichungen erteilt werden.
Aufgrund der bereits im Juli 2020 erteilten Zustimmung zum Bauvorhaben handelt es sich hierbei nur um eine formelle Frage.
Die Verwaltung schlägt vor, den beantragten Abweichungen, aufgrund des bereits erteilten Einvernehmens zum Bauvorhaben insgesamt, die Zustimmung zu erteilen.